Rezension

Zola Jesus

Stridulum II


Highlights: Tower // Sea Talk // Lightsick // I Can't Stand
Genre: Experimental Synth-Noise-Electronic-Post-Punk
Sounds Like: Former Ghosts // Xiu Xiu // Fever Ray // Muse // Florence & The Machine // Bat For Lashes

VÖ: 20.08.2010

Aufgrund der Allverfügbarkeit gegenwärtiger und vergangener Musik in den Weiten des Netzes sowie dem offensichtlichen Revival einer nach außen Dunkelheit vortäuschenden Ästhetik wundert es nicht, nach Post-Punk, New-Wave und der erneuten Vermählung von Industrial und Electronica nun Zeuge einer noch offensichtlicheren Düsternis im Pop zu werden. Wenn Throbbing Gristle und Bauhaus vermehrt Erwähnung in den Mainstream-Medien finden, und das Schlagwort Witchhouse versucht elektronische Musik mit Goth-Einschlägen zu fassen, ist es zu einer medialen Herbeirufung eines Gothic-Revivals nicht weit. Selbst wenn mancher diese Idee, Gothic könnte wiederkommen, fürchten mag, sei jedoch angemerkt, dass – aus einer deutschen Sicht – von Das Ich über Lacrimosa bis Deine Lakaien schon recht gutes veröffentlicht wurde.

Diese ausladende Einleitung über eine potentielle Gothic-Welle hat zwar mit Zola Jesus erster offiziell auch in Europa erscheinenden Veröffentlichung eher wenig zu tun, ist aber notwendig, um genau diesen in der bisherigen Rezeption des Albums „Stridulum II“ immer wieder hochgehängten Bezug zum Goth und Industrial zu relativieren oder abzustreiten. In der Tat strahlen die Stücke des Albums eine immanente Traurigkeit aus, zehren aus einer seelischen Dunkelheit, allerdings wäre es etwas zu einfach, im Hören schwermütiger Popmusik sofort die Gothic-Keule auszupacken.

Auch wenn Zola Jesus – mit bürgerlichem Namen Nika Roza Danilova – offen zugibt, Inspiration von Bauhaus und Throbbing Gristle zu ziehen, betont sie ebenso sehr die Bedeutung von Mainstreampop für ihre Musik. So beeindrucken die auf „Stridulum II“ versammelten Stücke auch vor allem durch ihre ansprechende Poppigkeit, die geerdet wird durch die Schwere, die drückende Wucht, die sie emotional wie auch in ihren Arrangements besitzen. Drum-Machines und Synthesizer verbinden sich mit Wave zu einer beeindruckenden melancholischen Platte, deren Tiefe immer aufs neue erforscht werden kann. Neben der offenkundigen Verwandtschaft zu den diesjährigen Alben von Former Ghosts und Xiu Xiu, mit beiden war Danilova auf Tour und an Former Ghosts „New Love.“ war sie zudem beteiligt, drängen sich vor allem Vergleiche zu Fever Ray auf. Auch Florence + The Machine sind eine zulässige Referenz. Wo Karen Dreijer Andersson wohl sogar als Schwester im Geiste gelten kann, liegt zwischen Florence Welchs „Lungs“ und „Stridulum II“ emotional eine größere Kluft. Die Arrangements jedoch, die Inszenierung der Stücke, sowie die Bedeutung der Stimme der Künstlerin für das Endergebnis sind Gemeinsamkeiten beider Alben.

Die Stimme, die zwischen bedrohlich und verletzlich wandelt, bildet auch das große Alleinstellungsmerkmal dieses Albums. Immer prominent in die Mitte der Produktion gestellt, meist mit einem gewissen Hall versehen und Nika Roza Danilovas klassisches Stimmtraining offenbarend lagert Sie über den stampfenden Beats, den surrenden, flirrenden, hymnischen Synthesizern. Durchaus kritisch lässt sich den Texten gegenüberstehen. Einerseits kann ihre Einfachheit als im Widerspruch zur Komplexität der Arrangements gesehen werden, lässt sich ihnen vorwerfen, sie würden das Niveau der Musik nicht halten, andererseits aber mag man gerade bewundern, wie ohne große Umstände, in aller Simplizität große Gefühle in kleine Wahrheiten verpackt werden. Musikalisch offenbart sich bereits im eröffnenden „Night“ die ganze Magie des Albums, verliert der Hörer sich in der bedrohlichen und doch poppigen Atmosphäre, wenn ihm die Musik Schauder den Rücken herunter jagen lässt. Diese beeindruckende Intensität hält das Album durchgängig. Tatsächlich vermag Nika sie sogar zu steigern. Seinen bombastischen Höhepunkt findet das Album im übermächtigen „Stridulum“. Es ist sicher nicht das stärkste Stück des Albums, aber der Song, der die größte musikalische Energie besitzt, in der die Inszenierung zu höchsten Höhen getrieben wird. An „Stridulum II“ erstaunt somit auch, dass Stücke, die leicht den Verdacht der Überproduktion auf sich ziehen könnte, hier in ihrer experimentellen, verstörenden Lärmigkeit einfach begeistern und in ihren Bann ziehen. Besonders betören die abschließenden Stücke, die subtil einen Gang zurückschalten und die Melancholie im Songwriting noch einmal betonen. Während über weite Strecken des Albums der Atem durch Aufwand und Energie des Einsatzes geraubt wird, stockt er hier im Ausklang dieses fantastischen Albums aufgrund des verletzlichen Trotzes in Danilovas Stimme.

Oliver Bothe

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