Rezension

Young Fathers

Cocoa Sugar


Highlights: In My View // Lord // WOW
Genre: Hip-Hop // Experimental // Epic // Pop
Sounds Like: Champagne Champagne // N.E.R.D. // TV On The Radio

VÖ: 09.03.2018

Ein Album wie ein Gottesdienst – nur ohne das lange Stillsitzen, die kalte Luft und die angestaubte Erwartung des Wortes selbst, Gottesdienst. Was die drei Klang-Pastoren aus Edinburgh mit ihrem dritten Album liefern, ist reines Gold. Verschnörkelter und dreckiger Charme der Seitenstraßen und Hinterhöfe klebt daran und der Club ist nicht weit weg. Aber Gold bleibt Gold.

Was ist das Rezept für die spirituelle Reise? Bibelzitate? Gospelchöre? Songnamen wie "Lord" oder "Holy Ghost"? Oder sind es diese aufgeladenen Zeilen, die klar machen, dass Religiosität hier kein klares Konzept ist und im nächsten Satz direkt über den Haufen geworfen werden kann: „You'll never find your way to heaven // but you can follow me.“ Oder „learn you lessons // no such things as blessings." Young Fathers setzen die Themen wie Farbkleckse auf eine Leinwand. Die Flüchlingskrise, Identitätskrisen oder Glaubenskrisen werden nicht direkt angesprochen, aber schwimmen zwischen den Sprachbildern. Bilder, die gleichzeitig sehr schön sein können: „If wishes were horses // then beggars would ride.“ Die Grundlage solcher Sätze, der Subbass sozusagen, ist eine Zärtlichkeit und Wärme, die jenseits der Worte liegen.

Gleichzeitig sind die Drei große Spieler: Ein ätherischer Chor, archaische Rufe, vertrackte Rhymes oder hymnenhaftes Falsett wechseln so natürlich wie die Farben im Kartenspiel – ein Spiel, in dem alles zusammengehört; zusammengedacht und -gefühlt werden kann. In dem es keine Grenze gibt – und gleichzeitig sehr tiefe Gräben. Das zeigen Zeilen wie: „Wanna turn my eyes blue // I'm not like you // Don't you turn // my brown eyes blue.“ oder „I didn't work that hard // to stay where i belong.“

Mehrdeutigkeit, Ironie und poetische Analyse runden die Kanzelrede ab. Klangtechnisch lebt das Album genauso von den Brüchen, dem Nebeneinander und Ineinander verschiedener Geräusche und Stile. Nur thront der Pop über allem. Funktioniert aber – wie ein richtiger Herrscher – nur mit einem komplexen Hofstaat. Der, müsste man ihn benennen, wohl getrost als Psych-Gospel-Noise-Ethno-Trap-Post-Future-Epic durchgehen könnte. Und das eben poppig. Vermutlich ist es gerade dem Pop geschuldet, dass die Musik trotzdem ohne Erklärung zündet und jedes Lied Ohrwurmcharakter hat.

Das ätzende Schlusswort der Predigt ist ein süffisantes: „What a time to be alive // Everything is so amazing // I said WOW.“

Peter Heidelbach

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