Rezension

U2

No Line On The Horizon


Highlights: Moments Of Surrender // FEZ - Being born // Cedars of Lebanon // White As Snow
Genre: Rockpop
Sounds Like: R.E.M. // David Byrne // Radiohead // Reamonn // Kings Of Leon // The Killers // Coldplay

VÖ: 27.02.2009

Bei Bands, die 30 Jahre im Geschäft sind, die außerdem erfolgreich oder sogar sehr erfolgreich waren und sind, die zudem sich bei aller Erneuerung doch stilistisch treu bleiben, also eigentlich meist das gleiche machen, stellt sich die berechtigte Frage, wieso sie meinen, noch Alben produzieren zu müssen. Es lässt sich fragen, ob sie ihre Alterssicherung nicht auch mit sporadischen Touren und Lizenzierungen erreichen. Im Fall U2 drängt sich ein solches Denken umso mehr auf, als eine Reihe Gruppen als Kronprinzen bereitstehen, um den Thron der Stadionrock-Könige zu besteigen. Zunächst kamen Coldplay, die inzwischen sogar mit dem gleichen Produzenten – Brian Eno – arbeiten. Danach folgten The Killers und Kings Of Leon.

Kaum jedoch erklingen die ersten Takte von „No Line On The Horizon“, dem zwölften U2-Album, wird klar, diese guten Onkel des Rockpop haben tatsächlich jede Berechtigung, weiter neue Musik zu veröffentlichen. Dies gilt insbesondere, wenn Brian Eno und Daniel Lanois produzieren und de facto als weitere Bandmitglieder arbeiten. Schon die Vorabsingle „Get On Your Boots“ verdeutlicht, bei aller potentiell empfundenen Lärmbelästigung und Langeweile, was die unbestrittenen Könige des Stadionrock ausmacht. Ihre Karriere hindurch haben Bono, The Edge, Adam Clayton und Larry Mullen Jr. es vermocht, äußere Einflüsse aufzuintegrieren und ihrer Musik einzuverleiben. Bei ihnen führt dies nicht zu Revolutionen im eigenen Schaffen wie bei ähnlich agierenden und einen vergleichbaren Ursprung habenden Künstlern (z. B. Radiohead). Vielmehr erweitert es eher subtil den eigenen Klangkosmos, was, wie die Vergangenheit zeigte, nicht immer gut funktioniert. So zeigt „Get On Your Boots“ den Einfluss der Queens Of The Stone Age verbunden mit einer Beat-fokussierten Indietronics-Einstellung, während die ersten Takte des Titeltracks und des Albums tatsächlich an Kings Of Leon erinnern. Selbst Bono klingt hier wie Caleb Followill. Neben den U2-üblichen U2-Déjà-vus ziehen sich unendlich viele weitere, doch schwer erfassbare Eindrücke des Wiedererkennens durch das Album.

Das Erstaunlichste an „No Line On The Horizon“ ist, dass es eine langjährige U2-Ermüdung hinwegzuwischen vermag und nahezu durchgängig gefällt. Selbst die vergleichsweise weniger gute Albummitte mit „I'll Go Crazy If I Don't Go Crazy Tonight“, „Get On Your Boots“ und „Stand Up Comedy“ hat ihre grandiosen Momente. Anders als bei Coldplay im vergangenen Jahr funktioniert hier die Aneinanderreihung verschiedener Song-Ideen innerhalb einzelner Stücke. Anders als bei „Viva La Vida“ schaffen es U2 ihren ganz eigenen Klangkosmos zu erneuern, ohne gequält, gelangweilt oder langweilig zu erscheinen.

Der Titeltrack erfreut einerseits alle langjährigen Fans, indem es zunächst vor allem ein typischer U2-Song ist. Doch versieht die Band das Stück mit einer treibenden Dringlichkeit, mit einer melodischen Stärke, die auch den ungläubigen Zweifler überzeugt. Wie über weite Strecken des Albums überrascht das Songwriting der Band dadurch, dass es selbst in der zehnten Wiederholung nicht langweilt, dass sich kleine Muster finden, welche die Aufmerksamkeit des Hörers verlangen. „Magnificent“ steht für den gleichen traditionellen aber sich selbst erweiternden U2-Klang. Insofern ist es eine Stadion-Hymne, die aber in ihrer Melodie den Hörer auch in all seiner Privatheit fasst. Das Hymnische folgt auf eine ganz offenbar von Eno stammende Syntesizer-Eröffnung, die Spannung aufbaut, und so dem folgenden Stadionrock erlaubt, die Emotionen des Hörers zu befreien. Einfach, aber effizient. Besonders The Edges Gitarrenspiel sticht aus der Größe des Songs noch einmal heraus.

„Moments Of Surrender“, „FEZ-Being Born“, „White As Snow“ und Cedars Of Lebanon“, und damit die ruhigen Momente machen aus „No Line...“ etwas Besonderes. Wahrscheinlich heißt das: Brian Eno in Bestform macht dieses Album zu etwas Besonderem. „Surrender“ ist ein atmosphärischer, minimalistischer Gospel-Song, der als Teil eines U2-Albums, sich natürlich gegen diese Rolle aufbäumt und versucht die großen Gefühle mit ins Boot zu holen. Minimalismus und große Geste verbinden sich gelungen. Das Weltumspannende erhebt sich aus einer kleinen Enoesken Orgelmelodie unter der ein leichtes Computer-erzeugtes Blubbern liegt. „Unknown Caller“ im Folgenden führt zum ersten Mal wirklich sperrige Augenblicke in das Album ein. Bowieesk kämpft Bono mit den Fesseln der Technik. Die Musik versucht Entfremdung auf den Hörer zu übertragen. Meist gelingt dies, meist wirkt die Bildsprache in ihrer ungemein bedrückenden Intention, manchmal aber erscheint der Song nur wie eine Ansammlung von Fragmenten, eine misslungene avantgardistische Collage.

Der Eindruck des partiell Misslungenen beherrscht die gesamte Mitte des Albums. Erst das durchaus aufgesetzt wirkende Klanglabyrinth zu Beginn von „FEZ-Being Born“ ändert dies. Diesem Einstieg schließt sich ein klassischer U2-Song an. Rhythmus-Sektion, Synthesizer und Gitarre tragen alle ihren eigenen, klar separierten Teil zu dessen beunruhigender Intensität bei. Das Flirren der Letzteren und das Treiben der Ersteren machen „FEZ“ zu einem der Höhepunkte des Albums. Das Beunruhigende bleibt erhalten und verstärkt sich in der zu Beginn minimalistischen Ballade „White As Snow“. Deren Melodie basiert auf einem Kirchenlied zur Adventszeit aus dem zwölften Jahrhundert. „Cedars Of Lebanon“ lässt das Album in klingender Stille zu Ende gehen. Bono rezitiert monoton seine Verse, die sachte Instrumentierung kreist um sich selbst, zarte Synthesizerfetzen und ein sanfter Chorus durchbrechen die Stille nur selten. Ein ohne Zweifel grandioser, ein perfekter Abschluss für ein Album, das lange Nachwirken könnte. „Cedars Of Lebanon“ ist ein kleines, stilles Meisterwerk. „No Line On The Horizon“ ist ein einmal pubertär lärmendes, einmal introspektiv ruhiges Album, das sich durchgängig stark zeigt. Manches, was in einem Moment schwach wirkt, lässt im nächsten begeistert aufhorchen. Andererseits aber wirken selbst die größten Songs manchmal übertrieben, lassen die Stirn runzeln. Die Stärke des Albums ist, wie sehr es für jede Stimmung seine Höhepunkte hat, wie es immer wieder neue Schönheiten offenbart, wie es in sich geschlossen ist und doch Fluchtpunkte erlaubt. Am Ende müssen wir und die Band vermutlich Brian Eno und Daniel Lanois für diese Größe danken. Erst die Produktion erlaubt jedem Instrument, jedem Element sich voll zu entfalten, voll zu wirken, aber nie zu dominieren, nie das Gesamte einzuschränken.

Oliver Bothe

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