Rezension
Tim Hecker
Anoyo
Highlights: That World // Is But A Simulated Blur // Step Away From Konoyo
Genre: Ambient // Electro
Sounds Like: Nils Frahm // Ben Frost // William Basinski
VÖ: 10.05.2019
Der Kanadier Tim Hecker ist einer der prominentesten Vertreter experimenteller Ambient-Musik. Wenn dieser sich für sein aktuelles Projekt, das bereits vergangenes Jahr mit dem Album „Konoyo“ eingeläutet wurde, an einem Ort nahe Tokyo mit einem japanischen Gagaku-Ensemble zusammentut und dieses mit traditionellen Instrumenten auf seinen eigenen vorwiegend elektronischen Drones improvisieren lässt, ist dies kein Zufall.
Denn Japan ist gewissermaßen Ursprungsland des Genres. Sei es in Form von Gagaku, wörtlich „eleganter Musik“, einem Musikstil, der bereits seit Jahrhunderten am kaiserlichen Hof zelebriert wird, oder den meditativen Klängen, die aus buddhistischen Tempeln hervordringen. Eine sich unserer musikalischen Sozialisation entziehende Tonleiter, Yo, oder diverse fremdartige Flöteninstrumente, Sho oder Yu, tragen seit jeher zu dem Klangerlebnis bei. Vor allem in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren es japanische Künstler wie unter anderem Hiroshi Yoshimura oder Midori Takada, die experimentelle Musik unter dem Label „Ambient“ international zu Popularität verhalfen. Die Genre-Bezeichnung „New Age“ wiederum, unter die man auch einige Vertreter des Ambient subsumieren kann, hebt die funktionelle Bedeutung der Musik hervor, die auch der traditionellen japanischen Musik innewohnte, nämlich, bei dem Hörer einen Zustand geistiger Inspiration herzustellen.
„Anoyo“ ist in den gleichen Sessions entstanden wie sein Vorgänger „Konoyo“ und fungiert quasi als Gegenstück. Während „Konoyo“ mit monumentaler Wucht daherkam und einen mit seiner Fülle an Sounds und Ideen zu erdrücken drohte, wirkt „Anoyo“, nachdem der fulminante Opener „That World“ abgeklungen ist, deutlich reduzierter, wie ein schwaches Nachbeben nach dem großen Sturm. Doch gerade hier in seiner Schlichtheit lassen sich das Zusammenspiel aus Heckers Drones und Loops mit den natürlichen Klängen des Ensembles bewundern. So entwickelt etwa eine für sich genommen relativ simple Akkordfolge auf dem Synthesizer in „Is But A Simulated Blur“ erst angetrieben durch manuelle Percussion seine volle Wirkung. Mit „Step Away From Konoyo“ scheint Hecker den Spieß umzudrehen und sein Ensemble selber durch den digitalen Häcksler zu drehen, seine Intensität sinusoidalem An- und Abschwellen zu unterwerfen. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Analog und Digital, zwischen Original und bloßem Abbild. Ebenso werden Raum und Zeit gewissermaßen ebenfalls infrage gestellt, wenn einem einzelne Elemente im Verlauf der Platte, etwa in „Not Alone“ oder „You Never Were“, in einem veränderten Kontext erneut begegnen.
Bei allen Experimenten sind Heckers Kompositionen meist dank eingängiger Synths zugänglich. „Anoyo“ ist daher ein spannendes Werk, da es zeitgenössisch klingt und doch zu keinem Zeitpunkt die Ursprünge seiner selbst verkennt.
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