Rezension
The Welcome Wagon
Welcome To The Welcome Wagon
Highlights: Sold! To The Nice Rich Man // Hail To The Lord's Anointed // But For You Who Fear My Name // Half A Person
Genre: Indie-Pop // Christen-Folk
Sounds Like: Sufjan Stevens // The Polyphonic Spree // Gospelchöre
VÖ: 12.12.2008
Wer kennt das nicht: Wenn eine unangenehm zeitintensive Aufgabe zu erledigen ist, finden sich aus heiterem Himmel stets weitere Beschäftigungen, die vor Beginn dieser Aufgabe unbedingt noch erledigt werden können und müssen. Beispiel #1, das wohl allen Lesern unter den Studenten ein Begriff sein dürfte: Exakt in dem Moment, in dem eigentlich die Hausarbeit begonnen werden muss, wird komischerweise bemerkt, dass der Fußboden ja ungeheuer staubig ist und dringend - am besten mehrmals täglich - gesaugt werden müsste. Beispiel #2: Sufjan Stevens, der seinen Fans aufgrund seines angekündigten Vorhabens, über jeden US-Bundesstaat ein Album zu schreiben, eigentlich noch 48 Platten schuldet, aber - als Stevens'sche Variante des Staubsaugens - lieber erst einmal das Album einer viel versprechenden Band namens "The Welcome Wagon" produziert.
Wenigstens muss man in diesem Zusammenhang Stevens' Ehrlichkeit loben, ein Album nicht einfach fieserweise unter eigenem Namen zu veröffentlichen, das sich zumindest von seiner üppigen Instrumentierung her perfekt in Stevens' Oeuvre eingefügt hätte. So wird auf "Welcome To The Welcome Wagon" so circa alles benutzt, was durch Zupfen, Draufklopfen oder Hineinblasen Töne ergibt, was viele der Songs zu einem Wunderland der Musik macht, in dem auch nach mehrmaligem Hören immer noch etwas zu entdecken ist.
Weitaus herausstechender als im Werk ihres Produzenten ist bei The Welcome Wagon jedoch die christliche Spiritualität, die sich durch die Texte des Albums zieht, um nicht zu sagen: Wer nicht gerade jeden Tag mit drei Gebeten einrahmt und stolz den CVJM-Button am weißen Hemd trägt, dem könnte der durchgehende Bezug auf Jesus Christus und die Größe und Gnade Gottes auf Dauer etwas sauer aufstoßen. Unbedingt überraschen sollte er jedoch nicht, da The Welcome Wagon immerhin aus dem amerikanischen Pastoren Vito Aiuto und seiner Ehefrau Monique bestehen. Nun schreibt jedoch ein Pastor nicht nur gerne selber Loblieder auf den Herren, sondern spielt anscheinend auch gerne an bereits existierenden herum, da gerade einmal ein Viertel der Texte von Aiuto persönlich stammt - Neuvertonungen traditioneller Songs wie "He Never Said A Mumblin' Word" oder Liedern wie "Unless The Lord The House Shall Build", die der presbyterianischen Kirche zuzuschreiben sind, stehen aber auch Coverversionen von Lou Reed ("Jesus") oder den Smiths ("Half A Person") gegenüber.
Wer nun jedoch denkt, dass es sich bei "Welcome To The Welcome Wagon" um langweilige, prüde Kirchenmusik handeln muss, der wird noch nie die Energie und Lebensfreude gefühlt haben, die beispielsweise von Gospelchören in afro-amerikanischen Kirchen ausgeht. Ähnlich aufputschend wirkt auch "But For You Who Fear My Name": Banjo, Trompete und ein mächtiger Chor im Refrain umtanzen einen fantastischen Handclap-Rhythmus, der den christlichen Glauben in diesem Moment cooler als jegliche Form der Agnostik erscheinen lässt. Und wenn der beinahe schon fetzige Ohrwurm "Sold! To The Nice Rich Man" auf die Tanzfläche lockt, mag man fast vergessen, dass man sämtliche dabei kennengelernten Mädels ja eigentlich erst nach der Hochzeit und ohne Verhütung "erkennen" darf.
Ebenso hörenswert sind jedoch ruhigere, spärlicher instrumentierte Stücke wie das eröffnende "Up On A Mountain" oder "Hail To The Lord's Anointed", die ihrerseits verdeutlichen, was für seidig-einschmeichelnde Stimmen das Ehepaar Aiuto doch besitzt. Zwar macht sich in diesen Songs die ständige Preisung des Herren und des Glaubens notwendigerweise noch stärker bemerkbar, die so manchen davon angepissten Atheisten dazu bewegen könnte, aus Protest dem Satanismus beizutreten. Aber wer will schon einem Album, das nicht einmal zwei Wochen vor Heiligabend erscheint, etwas Besinnlichkeit verwehren? So ist "Welcome To The Welcome Wagon" nicht nur für Folkliebhaber ein tolles Album für die Zeit des Jahres, in der die Aufgaben des Alltags einmal ruhen können - ob es sich dabei jetzt um eine Hausarbeit oder das Schreiben von 48 Platten handelt.
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