Rezension

The Notwist

The Devil, You + Me


Highlights: On Planet Off // Alphabet // Boneless // Hands on us // Gone Gone Gone
Genre: Dreampop
Sounds Like: Radiohead // Portishead // Wilco // Maps // M83

VÖ: 02.05.2008

Flach, ruhig, unaufgeregt, relaxt, zurückgelehnt, ambient. „The Devil, You + Me“ kleidet mich ein, umgibt mich wie Möbelstücke, verwohnt, eingelebt, vertraut.

Die Band The Notwist wurde mit ihrem letzten Album „Neon Golden“ hochstilisiert zu einem der kreativsten Acts weltweit. Subjektiv standen sie plötzlich auf einer Stufe mit Kraftwerk, Radiohead, Sigur Rós oder – aktuell – Portishead. So erfreut der Vorabdownload „Good Lies“, Song Nummer 1 auf „The Devil“, durch vertraute Strukturen, Klänge und vordergründig Altbekanntes. Der Hörer betritt ein ihm unbekanntes Zimmer und fühlt sich sofort zuhause. Der Tisch, der Stuhl, alles am richtigen Platz, im Regal die richtigen Bücher und Platten. Aber eben diese Vertrautheit an einem eigentlich fremden Ort überrascht – nicht nur positiv.

Eine Verblüffung, die bei manchem in Bestürzung umschlagen könnte, bleibt sie doch weitestgehend erhalten. Vordergründig unspektakulär macht die Band da weiter, wo sie auf „Neon Golden“ aufgehört hat. Besonders „Alphabet“ und „Gravity“ suggerieren ein sofortiges Wiedererkennen. Standen jedoch auf dem letzten Album die Ideen und der Rhythmus – elektronisch, Bass und Schlagzeug – im Mittelpunkt, erledigt die Rhythmussektion hier ihre Aufgabe weitgehend unauffällig im Hintergrund. Die kreativen Geistesblitze fügen sich ebenso ein in das sehr flächige Klangbild. Sie zu lokalisieren fordert den Hörer. Ein offenbar noise-rockendes Anschwellen aus Bass, Gitarre und Schlagzeug, wie es „Good Lies“ mit charakterisiert, bleibt die Ausnahme. Weitere augenfällige Kniffe? Das „Andromeda Mega Express Orchestra“ zu Beginn von „Where in this World“, der (Vorsicht, Wortspiel) asiatisch angedubbt begründete Einstieg zu „On Planet Off“, das aufwühlende Flirren und Pulsieren in „Alphabet“. Das war es. Oberflächlich betrachtet.

Überhaupt Flächen. „The Devil, You + Me“ besteht in erster Linie aus Flächen. Die Arrangements bilden keine Räume, es sind klangliche Oberflächen, Schichten, ausgedehnte Ebenen. Elektronische Programmierung, Gitarre, Bass, Orchester, Rhythmus verweben sich zu einem Teppich aus Klängen. Einer Tapete, die das Ohr auskleidet, Geräusche schluckt, eine Atmosphäre herstellt, in der sich zu verlieren leicht fällt. Im Gewebe der Musik verirrt der Hörer sich unter Umständen, übersieht die Feinheiten, betrachtet nur das Gesamtbild. Der Eindruck wird von Grün bestimmt, obwohl zwischen rötlich und bläulich, zwischen weiß und schwarz, zwischen braun und pink viele Farben vorkommen. Die klangliche Landschaft auf dieser Reise gehört zu jenen, die den Zugreisenden einlullen, die nach einer Weile langweilig erscheinen, sie zieht vorbei, ohne wirklich wahrgenommen zu werden.

„The Devil, You + Me“ liefert keinen Adrenalinrausch, es ist kein Mountain-Bike-Rennen durch das Tian Shan, es ist keine stürmische Nordatlantiküberfahrt in einer Nussschale. Das Album entspricht mehr Vogelbeobachtung im Winter in der Lüneburger Heide oder dem Gefühl, bei Windstille im Nebel vor Spitzbergen zu liegen. Unaufmerksam betrachtet eine Situation, eine Tätigkeit voller Langeweile, verstecken sich darin doch subtile Reize. Eine nicht gleich greifbare Tiefe, die auch der deplatzierte ins Wasser der Schautafel gehende Charakter auf dem Cover andeutet. Diese ohne größere Hormonausschüttungen auskommende Ausrichtung der Musik ist damit im besten Sinne vollkommen und total unzeitgemäß. Am ehesten ließen sich The Notwists traumwandlerische Tiefebenen wohl in die Schublade Dreampop stecken. Ein Genre, das die Gebrüder Acher und Martin Gretschmann jedoch nicht nur mittels des Macintosh weiter denken, räumlich und fortschrittlich. Den unspektakulären Charakter brechen allein die sich offenbarenden Sollbruchstellen auf. Jene angedeuteten Spannungsbögen und Spannungsabfälle, an denen die Band live ihre eigenen Werke beginnen wird zu dekonstruieren, zu vernichten und neu aufzubauen.

Bin ich ehrlich? Wäre „The Devil, You + Me“ ein Debütalbum, ich würde nach der subjektiv fairen Anzahl an Hördurchgängen wohlwollend das Prädikat „nett“ verleihen und in einem Nebensatz den Aufwand für die Arrangements, die vielen eingeflossenen Ideen, die Wendungen und kleinen Überraschungen bewundern. Anders, die Achers und ihr Gretschmann machen es einem dieser Tage wirklich nicht leicht. Nein, ich bin nicht enttäuscht, denn ich ahne, wie das Album „wachsen“ wird. Aber erstaunt bin ich, wie gezielt The Notwist sich Ansprüchen entziehen, ohne zu enttäuschen.

Oliver Bothe

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