Rezension
The Hidden Cameras
Origin:Orphans
Highlights: In The NA // He Falls To Me // The Little Bit
Genre: "Gay Church Folk Music"
Sounds Like: Arcade Fire // The Magnetic Fields // Jens Lekman // Suburban Kids With Biblical Names
VÖ: 30.10.2009
Seien wir mal ehrlich: Kaum jemand, der sich für gute Musik interessiert, die nicht dem täglichen Radio-Gedudel entspricht, wird von einem Profi-Fußballspieler denken, dass man sich mit ihm über diese Musik unterhalten könnte, und dass er einem vielleicht sogar tolle Neuentdeckungen ans Herz legen könnte. Aber eben genau so könnte ein Gespräch mit Mehmet Scholl, ehemaligem deutschen Nationalspieler und Bayern-München-Star, aussehen. Zum Abschluss seiner Spielerkarriere, die er im Olympiastadion vor rund 63 000 Anwesenden feierte, ließ er seine Lieblingsband auftreten. Und es waren nicht die Sportfreunde Stiller, Xavier Naidoo oder gar Sarah Connor, die hier den deutschen Fußballfans ein Konzert geben durften. Es waren The Hidden Cameras. Die gaben sich zu Ehren Mehmet Scholls alle erdenklichen Mühen und casteten im Vorhinein den „Münchener Fußballchor“ zusammen, der im Hintergrund die Band mit Gesang und Choreographie unterstützen sollte. Weil man eben in Bayern war, haben sich die Kanadier, wie es sich gehört, allesamt in Lederhosen und Dirndl gesteckt und ein großartiges Konzert gegeben. Herrn Scholl hat es sicherlich gefallen, den meisten Fans war die selbsternannte „Gay Church Folk Music“ dann wahrscheinlich aber doch zu schräg. Weil es schade gewesen wäre, diese tolle Kooperation zwischen bayerischen Musikern, die den „Fußball-Chor“ bildeten, und den Hidden Cameras nach nur einem Auftritt wieder auseinander gehen zu lassen, entschloss man sich, zusammen auf Tour zu gehen.
Wer das Glück hatte, bei einem Konzert dieser Tour dabei gewesen zu sein, wird wahrscheinlich jedes Mal, wenn er den Namen „The Hidden Cameras“ hört, ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert bekommen. Denn was man da zu sehen bekam, übertraf bei weitem jede gewöhnliche Live-Show einer Band. Man sollte es eher eine „Theater-, Musical- und Table-Dance-Show“ anstatt eines „Konzerts“ nennen. Zählen konnte man die Darsteller in diesem Schauspiel auch nur noch schlecht, denn die gesamte Bühne war ständig in Bewegung. Von Go-Go-Tänzern über die Original-Band im Musikantenstadl-Look nach Kostümwechsel, bis zu den Chor-Jungen und –Mädchen waren es auf jeden Fall zwanzig Menschen, die dort auf der Bühne eine fabelhafte Show darboten.
Aber all das geschah noch mit den alten Songs der Hidden Cameras. Mittlerweile hat sich Joel Gibb, Kopf und Kreativ-Herd der Band, mit teils den alten und teils neuen Musikern ins Studio begeben und neues Material aufgenommen. Einfach war es sicher nicht, da die Erwartungen bei vielen riesig waren. So kam es dann auch, dass man auf der Stelle trat und es plötzlich an neuen Ideen mangelte, da Joel Gibb es perfekt machen wollte. Glücklicherweise ist die Album-Produktion dann doch nicht in einer Krise ausgeartet, sondern wurde durch Mr. Gibb selbst wieder aus dem Schlamassel gezogen, indem er ins Studio ging und zu seiner Band sagte: Heute machen wir alle mal das, auf das wir Lust haben! Ein wenig Improvisation kann wahre Wunder wirken - auch wenn „Origin:Orphans“ natürlich im Endeffekt wieder ein perfekt durchkomponiertes Album geworden ist, bei dem jeder Ton zum anderen passt: wunderbarer Pop, gepaart mit großartigen klassischen Arrangements, dort einer Trompetenmelodie, hier einem Streicher, immer wieder mehrstimmiger Gesang, und über all dem Joel Gibbs fabelhafte Stimme. Und dann gleichen die Songs doch wieder dem Live-Auftritt, eben einem brilliant inszenierten Musical, das man nicht einmal sehen muss, um die schönsten Phantasien im Kopf ablaufen zu lassen. Da möchte man Mehmet Scholl doch gerne danken, dass er zumindest versucht hat, diese phantastische Band in Deutschland groß raus zu bringen.
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