Rezension

The Gentleman Losers

Permanently Midnight


Highlights: There Will Come Soft Rains // The Good Bird Singin’ in the Twilight Tree // Rising Tide
Genre: Instrumental // Ambient // Lo-Fi
Sounds Like: Boards of Canada // Nils Frahm // Bibio

VÖ: 08.12.2017

Die Schwierigkeit, die instrumentaler Musik oft zugrunde liegt, ist, dass sie eindimensional bleibt. Die musikalische Ebene, die beispielsweise ein Gesang eröffnet, fehlt ihr häufig. Doch detailliert arrangierte und produzierte instrumentale Musik kann diese Lücke füllen und neu definieren, indem sie unerwartete Biegungen und Wendungen setzt, die eine Weite kreieren, die oft im Ungefähren bleibt und so eine unermüdliche Faszination schafft.

Ähnlich verläuft die Musik der Gentleman Losers, des Brüderpaars Samu und Ville Kuukka aus Helsinki. Diese Musik definiert sich durch ihre Unmöglichkeit, zusammengefasst und beschrieben zu werden. Basierend auf akustischen Impulsen, Schwingungen und Geräuschen, die über Harmoniefolgen in eine Ordnung gebracht werden, braucht sie bei jedem Durchgang aufs Neue die Hörer*innen, um zusammengesetzt und erlebt zu werden, insbesondere am Stück "As I Came Through The Desert Thus It Was" zu erkennen. Dies ist der Kern der Musik, die The Gentleman Losers erschaffen: Sie besteht aus perfektionierten Fragmenten, denen immer wieder ein passender Gegenpart zur Seite gestellt wird, um sich somit in der Summierung langsam entfalten zu können.

Und doch ist diese Musik mehr als die Summe der einzelnen Teile. Immer bleiben noch die einzelnen Fragmente erkennbar, lassen sich einzelne Elemente bei jedem Hören aufs Neue herausziehen und betrachten. Dabei zeigt sich, wie viel Zeit und Geduld aufgebracht wurde, um jeden Klang an den Punkt zu bringen, für den er bestimmt war. Jedem Stück liegt ein ungreifbares, schattenhaftes Element zugrunde, das sich nur erahnen und am besten über die Selbstbeschreibung der Band definieren lässt: “music from a past that hasn’t happened yet.” – Musik aus den Zwischenräumen. So oszilliert diese Musik zwischen den Zeiten und ist damit etwas, was großartige Musik ausmacht: zeitlos.

Die zwei bisherigen Alben – 2006 und 2009 über das legendäre Berliner/Londoner Label City Centre Offices veröffentlicht – waren sehr in sich geschlossen. Mit "Permanently Midnight" öffnen die Gentleman Losers ihre Musik den Zuhörenden sehr weit, lassen eindeutigere Harmonien zu, konkretisieren musikalische Ideen stärker als zuvor und nutzen zum ersten Mal Gesang als zusätzliches Element. Dadurch entfacht dieses Album eine faszinierende Weite und ist doch häufig sehr dicht produziert. Darin liegt die wahre Kunst von so betitelten Recording Artists: Die Produktionsweise muss nicht deckungsgleich zum Hörerlebnis sein. Viel zu häufig klingt eine breite Produktion lediglich fett und erdrückend, lässt keinen Raum mehr zum Atmen. Doch hier erschafft jedes Stück einen eigenen Kosmos, so ergeben sich schlüssige, eigenständige Werke. Ähnlich haben es in diesem Jahr The War on Drugs ("A Deeper Understanding") geschafft, ähnlich schafft es stets Nils Frahm. Wenn auch musikalisch unterschiedlich, so ist diesen Künstlern gemein, dass für sie das Entwickeln eines individuellen und neuartigen Klangs im Vordergrund steht und die jeweiligen Akkordfolgen eher als Träger dieser Ideen funktionieren.

Wie sehr die Gentleman Losers ihr Studio als Instrument betrachten, wird an einem der überragenden Stücke des Albums deutlich, "Rising Tide", das sich als Vorletztes an das Ende des Albums geschlichen hat und musikalisch, trotz aller vorherigen Entdeckungen, nochmals überrascht. Dieses Stück klingt plötzlich nach Grizzly Bear, einer Band, die ebenso für ihre besonderen und detaillierten Produktionstechniken bekannt ist. Mit "Permanently Midnight", dem Titelstück des Albums, wird man danach behutsam aus der Klangwelt der Gentleman Losers entlassen und verbleibt in einer beruhigenden Zufriedenheit.

Andreas Zimmermann

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Video zu "The Good Bird Singin' in the Twilight Tree"

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