Rezension

The Gentle Lurch

The Beat of the Heart is the Beat of the Boss


Highlights: Owl III // Song Sung In A Wooden Voice // Let's Roll
Genre: Country // Folk // Jazz // Indie
Sounds Like: Johnny Cash // Leonard Cohen

VÖ: 19.06.2009

1983 veröffentlichte ein deutscher Schriftsteller mit dem wenig deutschen Namen Sten Nadolny einen Roman mit dem Titel „Die Entdeckung der Langsamkeit“. Das Werk bekam sowohl in Deutschland als auch international viel Aufmerksamkeit. Hauptfigur des Romans ist John Franklin, ein überaus langsamer Mensch, der der schnelllebigen Zeit durch bloße Hartnäckigkeit dennoch Erfolge abtrotzt. Wenn das jüngst veröffentlichte Album der deutschen Band The Gentle Lurch („Das sanfte Taumeln“) in der Entstehungsphase einen Konzepttitel trug, so war es bestimmt „Die Entdeckung der Langsamkeit“. Auf dieser Platte, die offiziell auf den Titel „The Beat of the Heart Is the Beat of the Boss“ hört, ist einfach alles langsam, oder besser – um negativen Konnotationen vorzubeugen – verlangsamt. Das Tempo pendelt um die 100 bpm, während die Songs fast stoisch durch eine heiße Wüstenlandschaft aus Country und Folk wabern. Hinzu kommt die Gesamtlaufzeit von 80 Minuten, die sich auf zwei CDs aufteilt. Die Entscheidung, das Album als Doppel-LP zu veröffentlichen, war sehr weise, denn bereits das komplette Durchhören einer CD erfordert viel Konzentration.

Wer die Qualität des Albums erkennen will, der muss Zeit investieren und genau zuhören. Zugegeben: Die rauhe Stimme von Lars Hiller und das weibliche, wunderbar soulige Gegenstück – verkörpert von Cornelia Mothes – wirken äußerst einladend. Besonders die Duette „The Disappearence“ und „Let's Roll“ überzeugen. Doch hinter den Stimmen verbergen sich Melodien und Rhythmen, die häufig diffus bleiben. Tempowechsel finden auf einer Mikroebene statt. Die grundlegende Besetzung aus Schlagzeug, Klavier, Bass wird so dezent durch u.a. Gitarre, E-Gitarre und Bläser ergänzt, dass man ab und an vor der Frage steht: „Wann setzt denn der volle Sound jetzt endlich ein?“ Antwort: „Nie.“ Ein gutes Beispiel liefert „Owl III“, ein Song, der sehr zurückhaltend mit dezentem melancholischen Gesang von Cornelia Mothes beginnt. Sie wird zunächst nur von Klavier und Akustik-Gitarre begleitet, ehe Arpeggios und Lapsteel-Gitarre hinzutreten. Selbst der Takt wechselt und dennoch wird das Konzept des sich ewig fortsetzenden ruhigen Tempos nie aufgegeben. Und auf diese Erkenntnis folgt die Gretchenfrage: „Ist das ok?“

Hier werden sich die Geister scheiden, man wird das Album langweilig finden dürfen, unspektakulär, langatmig, einschläfernd. Wer Angst hat, sich in den zahlreichen lässigen sechs-Minuten-Balladen zu verlieren, wird einen Bogen machen und im Eilschritt weiter schreiten zu den konkreteren Klängen der IndieRock-Größen unserer Tage. Es spricht aber auch nichts dagegen, innezuhalten, die 14 Tracks auf sich wirken zu lassen und sich an tollen Instrumental-Parts, Akkordeon-Klängen und zahlreichen Details zu erfreuen. Die Lyrics sind häufig prosaisch gehalten und folgerichtig werden ganze Abschnitte als Pop-Rezitative gesungen. Das klappt ziemlich gut, erfordert aber ebenfalls viel Aufmerksamkeit vom Zuhörer. „The Beat of the Heart Is the Beat of the Boss“ ist ein Kleinod, ein musikalisch äußerst versiertes Werk, das viel Zeit braucht, ehe es seine Schönheit offenbart. Genau wie John Franklin wird hier nur der belohnt, der hartnäckig bleibt.

Mischa Karth

Finden


Bye-Bye



Am 5. Januar 2021 haben wir éclat eingestellt. Mehr Infos hierzu gibt es auf unserer Startseite!