Rezension

Sarah Neufeld

Hero Brother


Highlights: Hero Brother // You Are The Field // Breathing Black Ground // They Live On // Forcelessness
Genre: Avantgarde
Sounds Like: Nils Frahm // Godspeed You! Black Emperor

VÖ: 16.08.2013

Es ist eines dieser Alben, bei denen man dank der sogenannten Hardfacts fast schon Angst hat, dass sie nicht großartig sein werden, sonst müsste man womöglich für ein Weilchen die eigenen Grundüberzeugungen über Musik umsortieren: Sarah Neufelds erstes Soloalbum "Hero Brother". Die gute Dame ist Gründungsmitglied und Geigerin bei niemand geringerem als Arcade Fire, koproduziert ist das Album mit dem Piano- und Geräuschvirtuosen Nils Frahm. Veröffentlicht wird das Ganze dann auch noch beim Qualitätsgaranten Constellation Records, jenem Montrealer Label, welches praktisch gleichzusetzen mit Überirdischem wie Godspeed You! Black Emperor oder Do Make Say Think ist. Ein paar bloße Fakten, die die Augen, oder besser Ohren, leuchten lassen.

Und zum Glück müssen keine Grundüberzeugungen neu arrangiert werden. "Hero Brother" weiß die von Constellation Verwöhnten nicht zu enttäuschen, es weiß sogar trotz hoher Erwartungen zu überraschen und begeistern. Das Album ist ein sphärisches Gesamtwerk geworden, welches eine ganze Palette an Stimmungen, Harmonien und Techniken in einer perfekt durchkomponierten Dramaturgie zusammenhält. Und das größtenteils mit nur einem einzigen Instrument: der Geige. Nur selten werden wenige, dann auch einfach gehaltene, weitere Instrumente verwendet – eine einzige den wegweisenden Titeltrack "Hero Brother" untermalende Bassdrum etwa. Doch nicht nur Instrumente werden genutzt – auch Geräusche, zum Beispiel die eines Berliner U-Bahnhofs, kommen zur Geltung. Die weiteren Instrumente und Elemente wirken in ihrer Simplizität umso spannender.

Wieso auch sollte man diesem unkonventionellen Werk große Schnörkel hinzufügen? Sarah Neufeld geigt sich nämlich in einen virtuosen Rausch, dem der Hörer heillos verfällt. Wie könnte ein von Nils Frahm produziertes Album auch keinen mystischen Sog bewirken? Keine Sekunde des Albums wird die Gesamtatmosphäre aus dem Auge verloren, mal leise, mal laut, mal gestrichen, mal pluckernd gezupft oszillieren die Geigen durch den Tonträger. Zweifelnd oder beschwingt, mal voll warmer, mal voll dunkler Energie. So wird beispielsweise "Breathing Black Ground" seinem Titel durch einen von Frahm mit dem Harmonium erzeugten begleitenden dunklen Drone gerecht, ein dramatisches Geigenspiel baut sich dazu langsam auf. Neufeld scheut sich auch nicht, hin und wieder vermeintlich schräge Töne einzustreuen. Mit dem folgenden warmen, von leisem Gesang Neufelds begleiteten "They Live On" ziehen die dunklen Energien davon und "Hero Brother" öffnet sich dem Hörer in all seiner Pracht. Großartig auch das folgende Doppel aus "Wrong Thought" und "Right Thought". Den dramaturgischen Bogen schließt das von einfachen Pianoakzenten Frahms begleitete "Forcelessness", bevor es begleitet von leisem Drone, wenigen Geigenakzenten und Gesängen wieder zurück ins normale Leben geht. Es sei denn, man dreht die Platte um und setzt die Nadel erneut nieder.

Sphärisch, mystisch, abgefahren, kreativ, dunkel, hell, virtuos, inspirierend und vieles mehr – mit größtenteils nur einer Violine so spannend zu sein, die Vielfalt an Techniken, Stimmungen, die Variation von Eindringlichkeit und Beschwingtheit, so viel Ausdruck nur mit einer Geige, das ist eine Kunst für sich. Eine noch größere Kunst und das Sahnehäubchen ist es, den Hörer damit an keiner Stelle zu überfordern, den Kern nie aus dem Auge zu verlieren. "Hero Brother" ist ein beeindruckendes, zeitloses Kunstwerk.

Daniel Waldhuber

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