Rezension
Roots Manuva
Bleeds
Highlights: Don't Breathe Out // Cargo // One Thing // Fighting For?
Genre: Hip-Hop
Sounds Like: Ty // Mos Def // Talib Kweli // Blak Twang
VÖ: 30.10.2015
Er ist vielleicht der bedeutendste britische Rapper, ganz sicher aber derjenige, der sich so langlebig wie kaum ein anderer Künstler in einer Szene, die eigentlich von extremer Kurzlebigkeit geprägt ist, etablieren konnte. Dabei hat er jedoch nie Wurzeln geschlagen, immer wieder für Dispute gesorgt und hart daran gearbeitet, die Grenzen seines Genres zu verschieben. Die Rede ist von Rodney Smith, besser bekannt als Roots Manuva. Das sechste Studioalbum in seiner über zwanzigjährigen Karriere führt die Kontroverse gleich im Titel: Roots Manuva „Bleeds“. „I'm ready to bleed for the art form“ erläutert Smith den Titel und nimmt damit – womöglich distanziert selbstironisch, vielleicht auch infolge eines egoistischen Scherzes – die Rolle des Messias' seiner „art form“ auf. Eventuell ist der Albumtitel auch lediglich ein parodistischer Seitenhieb auf die ungezähmten Egos, die das Genre bevölkern. Roots Manuva findet sich als selbsternannter Hip-Hop-Christus nämlich in bester Gesellschaft: Snoop Doggs „Reincarnated“, Kanye Wests „Yeezus“ und Nas' „God's Son“ sind nur einige Beispiele.
Daneben lässt sich der Albumtitel auch etwas profaner lesen, als das Verschmelzen unterschiedlicher Stile wie das Ineinanderlaufen verschiedener Farben. Roots Manuvas Farbpalette beherbergt unterschiedliche Töne von Hip-Hop und Funk über Techno bis hin zu Neo-Klassik. Der Künstler selbst ergötzt sich an diesem Farbenspiel und rückt es mit folgendem Kommentar sogleich wieder in den Bereich des Sakralen: „liquid soul, the blood, the bleeds that paint infinte sacred wonders in our dreams and unfold in our day-to-day“.
Der Mann, der einmal von der Times als „the voice of urban Britain“ bezeichnet wurde, kann es also wohl doch nicht ganz lassen, sich zum Hohepriester des Hip-Hop zu stilisieren. Mit „Bleeds“ erteilt er sich dazu selbst die Absolution. Das Album beginnt hymnisch, der Opener „Hard Bastards“ verbindet melodramatische Gitarren, einen Chor und Lyrics, die die hoffnungslose Situation der britischen Unterschicht, verloren in der dritten Generation und von der Politik aufgegeben, anprangern. Wie um das Gefühl des Verlorenseins zu unterstreichen zieht „Crying“ gleich darauf die Hörer tief hinunter in einen deprimierenden Sumpf aus mystischen Streichern und Samples schluchzender Babys. „Facety 2:11“ entstand in Zusammenarbeit mit Four Tet, was man dem Track auch deutlich anhört. Die Sprache wird hier in ihre Einzelteile zerlegt, Lyrics, Bass und Beats stehen auf einer Stufe und ersetzen sich wechselseitig. Die Worte funktionieren hier weniger als Text sondern eher als Percussioninstrument.
Die Triade zu Beginn des Albums ist gleichermaßen großartig wie auch furchtbar anstrengend. Wer jetzt noch dabei ist, wird allerdings mit dem ersten großen Hit auf „Bleeds“ belohnt. Das soulige „Don't Breathe Out“ sorgt erstmals für Entspannung, der leichte Reggae-Einfluss und der tolle Refrain haben ordentlich Ohrwurm-Potenzial.
Gleich darauf schließt sich das Hintergrund-Piano von „Cargo“ an. Darüber legt Smith seine gewichtigen Worte. Erst nach einer Minute setzt der Bass ein und zieht den Track in die Tiefe. Roots Manuva bezeichnet „Cargo“ vielleicht etwas ironisch als Versuch der Stadionbeschallung, tatsächlich ist es jedoch ein starkes Beispiel für die Wandlungsfähigkeit dieses Künstlers. Von frickeligem experimentellem Hip-Hop zu sophisticated Rap mit neo-klassischem Piano und Gänsehaut-Keyboard in weniger als einer Minute.
Das unfassbar groovige „One Thing“ erinnert dann fast an Snoop Doog, wohingegen das darauf folgende „I Know Your Face“ extrem roh und brachial wirkt. Roots Manuva schafft es auf „Bleeds“ durchweg, die Spannung hoch zu halten. Immer an den richtigen Stellen, kurz bevor sie in Überreiztheit übergeht und es unangenehm zu werden droht, wird sie wieder etwas gelockert. Wirklich durchatmen kann man jedoch erst ganz am Ende, wenn das schöne „Fighting For?“ der erregten Hektik ein Ende setzt und das Album zu einem etwas hoffnungsvollerem, versöhnlichem Abschluss bringt: „Calm it, justice will reign supreme / Routines of life cause a loss of belief / ... / Greater steps for all creed and kind / With movements of this divine design”.
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