Rezension
Portishead
Third
Highlights: Machine Gun // The Rip // We Carry On // Magic Doors
Genre: Synthesised Jazz-Sample-Drone-Kraut-Electronic-Rock
Sounds Like: Harmonia // Can // Kraftwerk // Joanna Newsom
VÖ: 25.04.2008
In Stille macht der Jäger mit seinem Nylon-Lächeln sich auf den Weg, mit seinem Plastikmesser dem Leben eines Wesens einen Riss zu versetzen. Wir setzen die Reise fort im tiefen Wasser, stehen mit dem Maschinengewehr klein vor den magischen Türen, hinter denen die Fäden unserer Leben sich fortsetzen.
So bruchstückhaft diese Sätze aus den Songtiteln von Portisheads drittem Album „Third“ erscheinen, so unverständlich, verworren, unlösbar, finster, unfassbar, wirr und unglaublich präsentieren sich hier Beth Gibbons, Adrian Utley und Geoff Barrow. Willkommen im Klanglabor.
Den TripHop mit all seinen Schwestern und Kindern verbindet in den Nachwehen der mittleren 90er immer eine Linie mit Genres, die als Suffix „Jazz“ hießen. Vereinfacht auf die alten Alben von Portishead übertragen, schreitet die Band ein ganzes Stück vom Bar- oder Thrillerjazz hin zum Free- oder Fusionjazz. Eine Formulierung die irreführt, hat doch die perfektionistische Musik des Trios aus Bristol wenig mit Jazz zu tun. Mögen die modulare Kleinteiligkeit des Jazz, seine serielle Abarbeitung und seine Wiederholungen sowie der „Groove“ Bristol-Sound Portishead’scher Schule und Jazz gemein sein, fehlt in der Klangwelt der Briten doch eine der wichtigsten, zentralen, definierenden Eigenschaften des Jazz: Interaktion und Improvisation, zwar perfektioniert aber immer mit der Möglichkeit des Fehlers. Das Geheimnis des TripHop der drei liegt in einer produktionstechnischen Restrukturierung der Musik, bis jeder Ton, jeder Takt, jede Pause, jedes Element der Musik seinen perfekten, seinen idealen Ort gefunden hat. Dem Aufschichten von mehr und mehr Tönen folgt eine Reduktion, ein Auseinandernehmen und Wiederzusammensetzen, bis der endgültige „Cut“ den Vorstellungen entspricht. So entstand der einmalige TripHop-Sound von „Dummy“ und „Portishead“, so entwickelten sich die atmosphärisch dichten, hypnotischen, erlebnisoffenen Tracks, deren Einmaligkeit aus Portishead zunächst globale Stars machte und sie dann so unter Druck setzte, eine Situation schuf, aus der zwar ein ebenbürtiger Zweitling hervorging, die aber für die Bandmitglieder in ihrer Ähnlichkeit zu einer Jobmühle unerträglich war.
Das Erleben stand in der Musik des TripHop immer ganz oben. Suggeriert der Name doch in seinem Präfix „Trip“ bereits einerseits den sprichwörtlichen Drogentrip und vor allem aber die Reisetätigkeit, eine Bewegung durch die Welt sowie durch sich selbst. Mag dies auf Portisheads drittem Album noch vertreten sein, wurde das „Hop“, das eine handwerkliche Verwandtschaft in Sample-, Beat- und Cut-up-Techniken mit dem HipHop beschrieb, im Laufe des Hiatus abgelöst von einem „Rock“. Ein Rock, das sich Kraut oder Prog und sogar Folk als Vornamen gibt. Trotz dieser Änderung im Vorgehen, bestimmt weiterhin das Sammeln von Klängen, das Schaffen von Neuem aus Vertrautem den Klang Portisheads. Nur die düster-melancholische Harmonie, die alle Stücke der bisherigen Alben im Kern durchdrang, wurde von einer fragmentarischen Klangstruktur abgelöst, die in erster Linie als das Gegenteil von Zusammenklang erscheint. Eine Tatsache, die viele Hörer, die mit portishead’schem Bristol-Sound eben vor allem den Trip – egal ob nun drogen-induziert oder auto-suggestiv – verbinden, verstören und sogar abstoßen wird.
Dies verdeutlicht bereits das vorab werbende „Machine Gun“ mit seinem totalitären, wechselweise Panzerindustrie oder marschierende Stiefel suggerierenden Transistor-Rhythmus. Eine Drohkulisse, die von Beth Gibbons’ zart bis schrill klingendem Gesang weniger konterkariert als betont wird. Das Einsetzen der wahlweise faschistoiden oder stalinistischen Heldenorgel vierzig Sekunden vor Schluss erhöht den emotionalen Druck und verhindert endgültig das Aufkommen von Wohlbefinden. Allein dieser Song sichert „Third“ einen Platz im kollektiven popkulturellen Gedächtnis.
Bis zu „Machine Gun“ dauert es jedoch eine Weile. Zuvor verstören den offenen Hörer gleich zu Beginn „Silence“ und „Hunter“. Einen Hauch von alter, ungestörter Melancholie verströmt erst „Nylon Smile“. Zuvor aber lassen uns die drei Musiker von einem portugiesischsprachigen Moderator in neutralem Tonfall begrüßen, ein Bossa-Nova-Rhythmus wird angezählt, ein aufmunternd-freundlicher, jazziger Pianoakkord erklingt.
Kaum ist er verklungen, stürzt die Stimmung ab. Monotoner Bass, stampfender Drumrhythmus, quietschende Gitarren. Grelle Streicher erklingen. Alles vertraut und doch … Wie ein immer wieder kehrender Albtraum, den ich nun zehn Jahre verdrängen konnte. Eine psychische Bedrohung. Nach zwei Minuten plötzlich Reduktion der Mittel, unerwartet setzt Beth ein zu singen. Beim ersten Hören ein echter Schreckmoment, als sei die Hexe von Blair triumphierend kichernd aus dem Nichts aufgetaucht. Jede Sekunde in dieser Drohkulisse ist abgestimmt, uns zu beeindrucken, uns zu greifen, uns nicht entkommen zu lassen. Trotz der Dauer von elf Jahren ist es tatsächlich nur ein Schritt von „Portishead“ zu „Third“, vielleicht zwei. Wieder zwei Minuten später verstummt der Gesang, durch den Schnee stapfen die Truppen unter einem blutroten Todeshimmel bis … Stille.
Eine Ruhe, aus der scheinbar Vertrautes erklingt. Die bekannte Mischung aus atmosphärischer Instrumentierung und Beths Gesang. Doch „Hunter“ ist alles andere als erwartet. Zäh zieht es sich niederfrequent dröhnend und mit akustischer Gitarre voran, alle dreißig Sekunden stolpert das Gehör, zerbricht der Song vollständig, um sich aufzurappeln und wenige Momente später im alten Trott weiter zu schreiten. So gestaltet sich kein Popsong. Die Band präsentiert Stückwerk. Fetzen, Brocken, Splitter. Wie der Bruch zur Stille widersetzt sich dies dem gesunden Menschenverstand. Artifiziell, Kunstkacke sozusagen, als avantgardistische Übertreibung erschiene es, fehlte die Perfektion, verschränkte sich nicht alles zu einem vollkommenen Bildnis, das die Rettung Peters durch die Jäger umdeutet in das naturfeindliche Geschehen, das es war.
Hat der Hörer bis hierhin durchgehalten, wird er entlohnt von dem orientalisch angehauchten, aber klassisch Portishead seienden „Nylon Smile“. Klassisch, aber ich erdreiste mich zu sagen, tiefer, vielfältiger. Vor allem fügt es sich aber geschmeidig in die alles überragende Drohkulisse von „Third“ ein. Eine Atmosphäre, die zumeist von einem alles umfassenden Gefühl der Zerbrechlichkeit des Lebens begleitet wird. Etwas, das „The Rip“ dominiert, das durch das Anschwellen der Synthie-Melodie in der zweiten Hälfte des Songs nur noch potenziert wird. Auch in „Plastic“ setzt sich die Spannung aus Zerstörung und Leiden fort, wenn das Flirren apokalyptischer Kampfhubschrauber auf schwachbrüstige Gitarrenfiguren trifft.
Die Grundlage für den Einmarsch der Truppen der Selbstmordattentäter in „Machine Gun“, dessen Androhung das Album bisher schon dominiert hat, wird in „We Carry On“ gefestigt. Industriell dicht geflochten, steigert das Feuer sich, steigert sich, wird verstärkt, weiter angefacht, um dann langsam zusammenzusacken. +++ STOP +++ 90 Sekunden lang singt Beth mit einem „Barbershop Choir“ einen graziösen Folkblues. +++ STOP +++ „Machine Gun“. Danach ist alles erlösend. So wie die Offenbarung von einer Erlösung spricht.
„Small“, das längste Stück mit knapp sieben Minuten, erhebt sich harmlos aus einem langsam dahin fließenden Folkkonstrukt, bevor die Orgeln eines Science-Fiction-B-Movies aufwallen, die Initiative ergreifen, vorantreiben. Folk. Science Fiction. Verlöschen. Die Doors lassen grüßen, … Stille. „Magic Doors“, die Doors lassen grüßen. Der „Nukleus“, der Kondensationskern von „Third“. Funk, verlangsamt, ganz laaangsaaam. Beth. Ein Freejazz-Saxophon. Da ist „Third“ dann doch endgültig Jazz, zerkleinerter, auseinander geschnittener Jazz, neu aneinander geklebt. Wie lose Fäden, die verknotet werden zu einem Labyrinth, nicht um zu leiten, sondern um in die Irre zu führen. „Threads“ dann das Ende. Die Atmosphäre aufrechterhaltend, rückblickend zu „Dummy“ und „Portishead“, die Trümmer der Welt betrachtend. Wohin der Weg führt, Beth sagt es uns nicht, sie ist ihr Gemüt leid, die Musik suggeriert Wiederholung, Re-Evolution und erneute Vernichtung. Wehklagen. Beth als Klageweib. Wehe, Wehe, Wehe. Eine Minute lang Katastrophenalarm, Nebelhörner. Orientierungslosigkeit im Angesicht des Grauens. Nachfolgend noch Stille. Ruhe. Nichts.
Am Ende entzieht sich „Third“ einer Bewertung. Die Erwartungen steigerten sich hin zu einem ewiglichen Meisterwerk, die Mahner lästerten im Anhören des Leaks. Stilistisch, als Bastard aus dem durch ihn zerstörten TripHop, den alten Traditionen des Krautrock und des Jazz, passt es in die vereinfachenden Skalen der Rezeption kaum hinein. Durch seinen fragmentarischen Charakter, seine zerfasernden Abschnitte, seine scheinbare Unvollständigkeit verhindert es die Wahrnehmung als Erfüllung der Hoffnungen. Gleichzeitig bedient es aber alle Erwartungen, übertrifft sie teilweise sogar eben aufgrund seiner sperrigen Umsetzung. Natürlich ist „Third“ „sehr empfehlenswert“, sicherlich es „gefällt mir sehr“. Dennoch, es auf einer Skala zu verorten, die allein für „sehr gute“ Alben vier unterschiedliche Wertungen von „sehr“ bis „sehr sehr sehr sehr“ besitzt, fällt mir schwer. Ein Meisterwerk ist es auf jeden Fall. Auch für mehr als zehn kommende Jahre gemacht.
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