Rezension

PJ Harvey & John Parish

A Woman A Man Walked By


Highlights: Black Hearted Love // Sixteen, Fifteen, Fourteen // The Chair // Pig Will Not
Genre: Femme Fatale Pop
Sounds Like: Björk // Cat Power // Peaches

VÖ: 27.03.2009

Mit “White Chalk” setzte Polly Jean 2007 eine Trendwende. Weg vom betörenden Gitarrengedengel, hin zum Kammerpoperlebnis mit Piano und Banjo-Unterstützung. Das war, wenn auch etwas überraschend, eine großartige Trendwende und für viele der Beginn einer neuen Ära PJ Harveys.

Jetzt bringt sie, 11 Jahre nach ihrer ersten Kollaboration mit John Parish, ein Gemeinschaftswerk mit ihrem Busenfreund heraus, der kaum ein unterschiedlicherer Charakter sein könnte. Der ruhige abgeklärte Soundtüftler schreibt die Songs, denen Polly Leben einhaucht. Und Leben hat “A Woman A Man Walked By” genug. In zehnfacher Ausführung bietet dieser Langspieler Ansätze und Weisheiten zum Umgang mit der Welt und dem Universum. Eine Platte könnte kaum von heterogenerer Schönheit sein. Während alle Welt Konzepte zur Überwindung der Krise des Mediums Album einsetzen, gehen Harvey und Parish den umgekehrten Weg und versuchen einen Song bis zur völligen Erschöpfung auszureizen und alles zu sagen, was ein einziger Song imstande ist zu sagen. Das klingt interessant, und anstrengend, ist aber in letzter Konsequenz der richtige Weg, gerade dann, wenn die Heterogenität so viel Schönheit versprüht und man am Ende des einen Liedes, den Beginn des anderen kaum erwarten kann. Dieser Ansatz hat einen unglaublich positiven Nebeneffekt: es gibt keine Lückenfüller.

Musikalisch bietet “A Woman A Man Walked By” eine Bandbreite, der PJ Harvey mit ihrem Timbre problemlos folgen kann. Sie beherrscht die gehauchten Hochfrequenzen genauso wie das exzessiv stimmliche Verweigern und lässt ihr unerschöpfliches Talent auf die immer wieder überraschenden und tiefgreifenden Arrangements Parishs rieseln, um dann im vorletzten Song “Passionless, Pointless” zu zeigen, dass es auch anders ginge. Ruhiger, flach emotionalisiert, wunderschön, aber wieso den Ball flach halten, wenn man auch so hoch gewinnen kann?

Egal ob in “Black Hearted Love” Sonic Youth zitiert wird, “Sixteen, Fifteen, Fourteen” ein exzessiv aus dem Ruder laufendes und daher beängstigend betörendes Versteckspiel zweier Kinder im elterlichen Garten vertont oder mit “Pig Will Not” ein ebenso verweigerndes wie anarchistisches Statement zur Rolle der Frau dargeboten wird, wie es am ehesten bei Björks “Declare Indpendence” zu finden ist: Musikalisch wie narrativ bieten hier 10 Songs mehr als bei anderen Künstlern oft die gleiche Anzahl von Alben zu bieten hat.

Am Ende steht: Eines der unwahrscheinlichsten Duos der Popbranche nimmt ein Album auf, dass das unwahrscheinlichste Rezept verwendet um sowohl indirekt auf eine Krise der Kulturindustrie mit Lösungsvorschlag zu reagieren, als auch ein Meisterwerk hervorzubringen, das nicht nur am Ende dieses Jahres die Bestenlisten mitbestimmen wird.

Andreas Peters

Finden


Bye-Bye



Am 5. Januar 2021 haben wir éclat eingestellt. Mehr Infos hierzu gibt es auf unserer Startseite!