Rezension

Pearl Jam

Lightning Bolt


Highlights: Getaway // Infallible // Pendulum // Yellow Moon
Genre: Rock
Sounds Like: Foo Fighters // Eddie Vedder // Soundgarden

VÖ: 11.10.2013

Praktisch nicht vorhanden: Das sind die Erwartungen an ein neues Pearl-Jam-Album innerhalb der Fangemeinde, und in der Allgemeinheit wohl erst recht. Die Band um Eddie Vedder, die Anfang der Neunziger auf der Seattle-Welle direkt mit dem Debüt "Ten" nach oben schwamm, sich dann fast allem verschloss und bis zum 2000er-Werk "Binaural" sperrige, wütend-aufgewühlte, interessante Musik machte und sich durch enorme Live-Qualitäten eine eingeschworene Fangemeinde erspielte, ließ, zumindest was Veröffentlichungen anging, im neuen Jahrtausend nach. Spätestens seit dem völlig danebengegangenen "Backspacer" von 2009 sind viele hauptsächlich froh, dass es die Band noch gibt. Zumindest diese nicht vorhandenen Erwartungen weiß der mittlerweile zehnte Langspieler zu übertreffen – was lange noch nicht heißt, dass er ein wirklich gutes Album geworden ist. "Lightning Bolt" beinhaltet mit einigen starken Songs viel Licht, aber mit mindestens zwei Totalausfällen auch viel Schatten.

Dabei startet das Album mit "Getaway" so frisch und roh wie in guten alten Zeiten, ein klassischer Pearl-Jam-Song der alten Schule mit einem Vedder in Hochform. Auch das anschließende, alleinstehend eher schwächere "Mind Your Manners" geht in Ordnung, da es im Album-Kontext sinnig erscheint und das Tempo des Openers in wütendere Gefilde weiterführt. Spätestens bei "Sirens" wird aber ganz deutlich, was das größte Problem dieses Albums ist: Es ist heillos überproduziert. Aus einer eigentlich guten Songanlage – einige munkelten bereits, dies sei das neue "Black" – ist eine leider viel zu pompöse Ballade geworden, wie gemacht für das WDR2-/NDR2-/SWR3-/-Bayern-3-Frühstücksprogramm. Produzent Brendan O'Brien hat hier leider viel zu sehr seine Finger im Spiel, dabei hätte er es so einfach: Er müsste die Band einfach nur so klingen lassen, wie sie live klingt. Doch stattdessen hat er es zu allem Überdruss auch noch geschafft, die Band dazu zu überreden, "Sleeping By Myself", einen der 2011er "Ukulele Songs" Vedders, in Bandversion auf das Album zu bringen. Diese schmalzig-poppige Countryversion geht leider überhaupt gar nicht und ist einer der größten Schwachpunkte in der Diskographie der Band überhaupt. Fast noch schwächer ist der Album-Closer "Future Days".

Zum Glück gibt es neben vielen weiteren durchschnittlichen Songs auch richtige Lichtblicke wie "Infallible" oder das tiefgehende "Pendulum". Dieses Stück erinnert an "Nothing As It Seems" und ist endlich mal wieder ein Pearl-Jam-Song, der nicht nach Schema F entstanden ist. Schade, dass die Band sich nicht traut mehr zu experimentieren, denn hier zeigt sie, dass sie immer noch großartige Songs schreiben kann. Dringende Empfehlung für das nächste Album: ein neuer, anregender Produzent. Weniger die Band als O'Brien sorgt dafür, dass das Album völlig inhomogen erscheint, da einige Songs völlig überladen, andere aber klassisch und roh gehalten werden. Ohne ihn wäre vielleicht sogar noch einmal richtig Gutes möglich im Studio.

Aber gut – so lange eine handvoll gute Songs dabei sind, die von den Fans ins Liveprogramm getragen werden, hat "Lightning Bolt" zumindest einen Zweck erfüllt. Denn in diesem Punkt hat die eingeschworene Fangemeinde recht: Es ist schön, dass es Pearl Jam, eine der letzten, klassischen Rockbands noch gibt, und dass sie noch Konzerte spielen. Denn da ist die gute alte Pearl-Jam-Magie noch voll vorhanden, die Band spielt einfach nur ihre Songs ohne jeglichen Show-Schnickschnack drumherum und weiß dadurch eine außergewöhnliche, mitreißende Stimmung zu kreieren. So lange das der Fall ist, ist der Band auch "Lightning Bolt" zu verzeihen. Trotzdem ist es schade, dass die Band es nicht mehr schafft, diese sehr direkte, rohe Energie auf Platte zu bannen und noch einmal ein richtig gutes Album zu machen.

Daniel Waldhuber

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Video zu "Sirens"
Video zu "Mind Your Manners"

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