Rezension
Oasis
Dig Out Your Soul
Highlights: Falling Down // The Turning // Waiting For The Rapture
Genre: Britpop
Sounds Like: Oasis eben
VÖ: 04.10.2008
Zur Zeit werde ich wieder öfters an meine Jugend erinnert. Kürzlich hatte ich Geburtstag und meine Freunde machten mich schadenfroh darauf aufmerksam, dass die 30 naht und die 20 in immer weitere Ferne rückt, auch wenn für sie das gleiche gilt. Ich fühle mich deswegen noch lange nicht alt. Aber wenn ich mir dann Platten aus meiner Jugendzeit raussuche und auf das Produktionsdatum schaue, dann schlackere ich schon mal mit den Ohren. Stammen die Lieder wirklich aus den frühen 90er-Jahren? So lange ist das schon her? Und dann überlege ich. Viele Bands, die man damals hörte, haben sich mittlerweile aufgelöst, manche haben schon eine gescheiterte Reunion hinter sich, die Besetzung wurde gewechselt, andere verrieten mit Stadionrock ihre Punkherkunft. Von Soloprojekten und Schrotflinten gar nicht erst zu reden. Viel ist nicht geblieben, als ein paar Scheiben aus Silber oder Vinyl oder gar ein paar selbst aufgenommenen Kassetten mit Radiomitschnitten. Und dann sind da noch Oasis.
Als ihr erstes Album "Definitely Maybe" auf den Markt kam, war ich gerade mal 13 Jahre alt. Entdeckt habe ich sie, wie so viele, erst ein Jahr später, als "Wonderwall" aus dem Musikfernsehen nicht mehr wegzudenken war und mit "(What's The Story) Morning Glory" mein persönliches "White Album" erschien. Oder "Revolver", je nachdem, welches Beatles-Werk dem Hörer mehr bedeutet. Britpop war, das steht fest, das spannende neue Ding. Im Königreich herrschte Krieg, welche Band man denn hören durfte. Die Gallagher-Jungs aus der Arbeiterklasse oder die elitären Blur um Damon Albarn. Oder einfach Pulp, die mit "A Different Class" ein hierzulande irgendwie völlig unterschätztes Meisterwerk hinlegten. Ich mochte alle drei Bands, aber Oasis waren immer etwas besonderes. Da waren Skandale, lose Mundwerke und die Hymnen. Also eigentlich alles, was man als Heranwachsender braucht. Das Beruhigende an Oasis ist auch die Tatsache, dass sie sich in jeder Form treu geblieben sind. Sie lästern immer noch über ihre Musikerkollegen, prügeln sich, auch gerne untereinander, und ob sie trotz Familie völlig frei sind von Drogen- und Alkoholeskapaden, wer weiß das schon. Wenn es die Rolling Stones nicht mehr gäbe, sie wären wohl die letzten wahren Typen des Rock'n'Roll.
Kritiker werfen Oasis ihre Weiterentwicklungsunlust dagegen vor. Seit 14 Jahren gibt es sie - und trotzdem haben sie nur einen Song, meinte kürzlich ein Kollege. Ich widersprach nicht wirklich. Ein bisschen Recht hat er ja. Die Alben ähneln sich, unterscheiden sich teilweise nur in Nuancen. Aber ist das nicht auch eine gewisse Sicherheit? Sich darauf zu freuen, dass man nicht enttäuscht werden kann? In meinem Kalender stand am 04. Oktober jedenfalls der Bandname in roten Lettern ganz oben. Ich verzichtete auf eine Bestellung von "Dig Out Your Soul" über das Internet, fuhr in aller Frühe zum Plattenladen, wartete die wenigen Minuten bis zur Öffnung, stolperte zur Information und nahm sie dort in Empfang. Zuhause angekommen setzte ich mich auf die Couch, zwischen die alten Boxen, und fühlte mich wieder wie 14.
Nach 45 Minuten bin ich erst einmal erstaunt. Keine Ballade, keine richtig homogenen Songs. Streng genommen, keine Hits. Selbst die Single "The Shock Of The Lightning", die so richtig traditionell aus dem Radio tönte, schmiegte sich an die anderen Songs an, ging nicht unter, fiel aber auch nicht übermäßig auf. Die größte Aufmerksamkeit zieht "Falling Down" an sich, das schon vorab im Chemical-Brothers-Remix veröffentlicht wurde. Auch keine Ballade im eigentlichen Sinne, aber ein dermaßen hypnotischer Song, der zu den besten Oasis-Titeln aller Zeiten gehören dürfte. Aber wie gesagt, ohne ein richtiger Hit zu sein. Ausfälle gibt es auf der anderen Seite auch keine, wobei Gem Archers "To Be Where There's Life" und Andy Bells "The Nature Of Reality" gegenüber den Gallagher-Songs leicht abfallen.
Natürlich hieß es auch schon immer, Oasis würden die Beatles kopieren oder diverse Tribute für sie schreiben. Nun, wenn man es so sieht, ist ihnen mit "Dig Out Your Soul" ihr Beatles-Album gelungen. Psychedelische Elemente, indische gar, obwohl die Hindu Times schon vorbei sind, stehen im Vordergrund und werden durch das Artwork nur bekräftigt. Fakt ist, das Album ist ein verdammter Grower. Man vermisst die fehlenden Hits spätestens nach dem dritten Durchlauf nicht mehr. Der Einstieg durch Noels Drogengeschichte "Bag It Up" ist hart, aber mehr als perfekt, das Ende mit "Soldier On" alles andere als entspannt, aber auch das hat seinen Charme. Mit den elf Songs können Oasis auch endlich aus dem Schatten der Beatles treten und vielleicht frei sein für ein ganz neues Konzept beim nächsten Studioalbum.
Noel hat im Zuge der Veröffentlichung medienwirksam verkündet, dass "Dig Out Your Soul" das beste Oasis-Album seit "Definitely Maybe" sei. Ich persönlich stelle es derzeit an die vierte Stelle, hinter "Morning Glory", dem Debüt und "Don't Believe The Truth". Aber gerade durch seinen speziellen Charakter, das wirklich Besondere, machen es die Jungs aus Manchester einem schwer, die Platte einzuordnen. Fest steht aber auch, dass Oasis mit ihrem siebten Album erneut ein Werk aufgenommen haben, das viele andere Bands qualitativ nicht einmal mit ihrer besten Platte in den Schatten stellen können. Selbst mein Kollege war positiv überrascht. Auf die Gallagher-Brüder ist eben Verlass.
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