Rezension

Nobelpenner

Meinten Sie Nibbelpeter


Highlights: Hölle // Unsichtbarer Schrank // Fuck The Wörld, Ole!
Genre: Indie-Dance-Country
Sounds Like: "Die Türen" im Stildschungel

VÖ: 03.04.2009

Wer erinnert sich noch an die formidablen Wundertüten, die es - je nach Begehr für Dame oder Herr - auf dem Jahrmarkt zu kaufen gab? Der freundlichen Marktfrau 2 DM hingelegt, und schon war eine mit zufällig zusammengewürfeltem Schnickschnack erworben, für den man manchmal sogar so etwas wie Verwendung hätte, für den man in anderen Fällen aber nicht einmal 'nen funkelnden Groschen aus dem Portemonnaie gekramt hätte. Der Hauptgrund für den Erwerb war der Überraschungseffekt - wow, super, ein Stück rote Kreide, ein Borussia-Mönchengladbach-Schweißband und seit zwei Jahren abgelaufene Kaugummis!

Ähnliches Überraschungsfeeling ergibt sich auch, wenn man "Meinten Sie Nibbelpeter" (auf was für Ideen Google manchmal kommt...) von Nobelpenner durchhört - mit dem Unterschied, dass die metaphorischen Kaugummis dieser Wundertüte meist glücklicherweise nicht alt und staubig, sondern angenehm süß und frisch schmecken. Aber was hier an musikalischen Richtungen auf 14 Liedchen und eine knappe Dreiviertelstunde gepresst wird, macht es schwierig, eine passende Genrebezeichnung zu finden, die oben in die Genre-Zeile passt. Ist das nun Indie-Country? Flamenco-Big-Beat? Sirtaki-Hip-Hop? Und wurde da für die Aufnahme des Beginns von Track Sechs etwa Slash entführt und gezwungen, ein möglichst klischeehaftes G'n'R-Solo zu spielen?

Man weiß es nicht, doch daran, dass dieser Song immerhin "Solo" heißt und nach eben jenem Gegniedel mit den Worten Und ich dacht' schon, so ein Solo muss wohl endlos sein... anfängt, merkt man zumindest, dass bei Nobelpenner kaum ein Lied ohne Augenzwinkern und Selbstironie auskommt - andererseits wird dies jedem bereits innerhalb der ersten zehn Sekunden klar geworden sein, sobald man bemerkt, für welche merkwürdige Aufforderung "P.Y.S.O.T.R.A.D.", der Titel des Intros, steht. Kleiner Spoiler: Das "S" steht für "Schniedel".

Klar, soviel Nonchalance muss nicht immer gut gehen und führt im schlimmsten Fall zu öden Lagerfeuernummern wie "Engste Freundin" oder zu gewollt witzigen Balladen wie "Mädchen Von Balzac", das auch seine schmierigen Streicher, mögen sie noch so ironisch gemeint sein, nicht wieder rausreißen. Im besten und glücklicherweise weitaus häufigeren Fall entstehen jedoch Songs, die ähnlich wie manches von den Türen oder dem Jeans Team durchaus zu kleinen Indie-Hymnen mutieren könnten: Das dicke Bässe auffahrende und unverschämt lässige "Hölle" beispielsweise, das zu allem Überfluss noch mit einer Can’t-Take-My-Hands-Off-You-Hommage endet, oder Gitarrenschunkler "Fuck The Wörld, Ole!", der alles hält, was sein Titel verspricht und zudem mit Der Camembert von Penny schmeckt wie Asche mit der wohl besten sinnlosen Zeile aller Zeiten aufwarten kann. Bezüglich des banjogetriebenen "Hamburg Lieds" mögen Realisten anführen, dass sich die Hymnenwirkung nur auf Hanseaten erstrecke und böse Zungen gar behaupten, dass dieser Song gar nur für heimliche Lotto-King-Karl-Fans geeignet sei, aber da der Rezensent sich zu beiden Gruppen zählen kann - Scheißegal, super Song!

Natürlich ist nicht auszuschließen, dass diese Lieder oder auch in sich selbst strukturell wirklich abwechslungsreiche Stücke wie "Unsichtbarer Schrank" oder "Hollywood" aufgrund ihrer Nonchalance, der vielleicht manchmal eine Prise Ernst gefehlt hätte, ihren Charme nach einigen Wochen auch wieder verloren haben werden - auch überraschend entdeckte süße Kaugummis mögen eben im Endeffekt auch nur Kaugummis sein. Aber solange mag es sich lohnen, die Wundertüte "Meinten Sie Nibbelpeter" zu durchwühlen, solange gilt - um das Mysterium des Intro-Titels vollends aufzulösen: Put Your Schniedel On The Record And Dance!

Jan Martens

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