Rezension

Neon Neon

Praxis Makes Perfect


Highlights: The Jaguar // Hoops With Fidel // Mid Century Modern Nightmare
Genre: Synthie-Pop // Electro-Pop
Sounds Like: Boom Bip // Gruff Rhys // Super Furry Animals

VÖ: 03.05.2013

Eigentlich ist die Konstellation aus dem Elektrofrickler Boom Bip und dem Sänger Gruff Rhys der Super Furry Animals keine wirklich abwegige. Ryan Adams und Deadmau5, Ke$ha und die Flaming Lips oder Coldplay und Rihanna – das sind wirklich schräge Dinger. Bevor Google nun ungläubig befragt wird: Ja, die existieren tatsächlich. Also erst mal grünes Licht für Neon Neon. Immerhin hat es der Vorgänger „Stainless Style“ schon zu einer Mercury-Prize-Nominierung gebracht. Nach fünf Jahren folgt nun „Praxis Makes Perfect“, ein weiteres überambitioniertes Konzeptalbum.

Während „Stainless Style“ noch Aufstieg und Fall von John DeLorean und seinem einzigen Auto, dem DMC-12, der dann spätestens mit „Zurück in die Zukunft“ zum Kultobjekt und Sinnbild der Achtziger wurde, darstellt, wandert „Praxis Makes Perfect“ auf politischeren Pfaden. Hier wird die Geschichte von Giangiacomo Feltrinelli, dem zum Verleger und revolutionären Bad Boy mutierten italienischen Millionärssohn, erzählt. Feltrinelli wurde dabei in den Sechzigern und Siebzigern zunehmend links radikalisiert und engagierte sich in der bewaffneten Untergrundbewegung. Zu den Veröffentlichungen gehören Übersetzungen von Henry Miller, Doktor Schiwago und die aus Bolivien geschmuggelten Tagebücher von Che Guevara. Auch das ikonisch gewordene Portrait des bolivianischen Guerillaführers wurde von Feltrinelli erstmals verbreitet, also doch wieder Popkultur. Feltrinelli starb bei der versuchten Sprengung eines Hochspannungsmastes nahe Mailand. Ob es sich hier um mangelndes Technikverständnis oder staatliche Nachhilfe handelte, ist immer noch ungewiss.

Durchaus harter Stoff für ein kleines Elektroalbum. Trotzdem ist „Praxis Makes Perfect“ natürlich keine biedere E-Musik. Während Neon Neon den Verleger als politischen Aktivisten feiern, ist das, was die beiden hier aus den Tasten hauen, alles andere als brisant oder Ketten sprengend. Obwohl der Opener noch wie verworfenes Gebrodel zu „Aktenzeichen XY ungelöst“ klingt, spult der Rest des Albums das mittlerweile vertraute Gebräu aus New Wave, Synthie-Pop und Italo-Disco ab, was ja auch wie die Druckerpresse zum Verleger passt. Dabei tänzelt das Album ganz gefällig vor sich hin, ohne wirkliche Höhepunkte herauszuarbeiten. Man darf nun selbst wählen, ob man von einem Flow oder von gehobener Langeweile redet.

„Praxis Makes Perfect“ ist dabei vor allem ein schizophrenes Biest. Einerseits sollte Popmusik brisantere Themen aufgreifen und sich nicht auf eine Befindlichkeitsfixierung reduzieren lassen. Andererseits passt die Mischung aus glitschigem Synthie-Pop und der revolutionären Aufbruchsstimmung der wilden Sechziger nicht so richtig. Mit dem Delorean cruiste es sich halt doch etwas schöner und stilvoller gen Sonnenuntergang. Aber vielleicht fügt sich doch alles zusammen, wenn irgendwelche Jetset-Gören Cocktail schlürfend am Strande einer beliebigen überteuerten Mittelmeerstadt liegen und sich durch „Praxis Makes Perfect“ beschallen lassen. Wäre ja irgendwie auch subversiv.

Yves Weber

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