Rezension

My Brightest Diamond

A Thousand Shark's Teeth


Highlights: Inside A Boy // The Ice And The Storm // Black & Costaud // To Pluto's Moon
Genre: Alternativ-klassischer Kammermusik-Rock
Sounds Like: Joanna Newsom // Sufjan Stevens // Emilia Torrini // Portishead

VÖ: 20.06.2008

Lange vor der Pervertierung des Begriffs durch nölende Polizei- und Krankenwagen bezeichnete der Ausdruck "Sirene" weibliche Fabelwesen aus der griechischen Mythologie, die sich besonders durch ihren bemerkenswerten Gesang auszeichneten. Dieser war so wunderschön und hypnotisierend, dass jeder Seefahrer, der die Insel der Sirenen passierte und den Gesang vernahm, sofort von ihm auf ewig in seinen Bann gezogen wurde und die Insel nie wieder lebendig verließ.

Auch wenn eine Begegnung mit My Brightest Diamond wahrscheinlich in den seltensten Fällen zum Tod führt und der Vergleich daher nicht ganz treffend sein mag, ist Shara Worden so eine Sirene der Neuzeit. Dank Opern-Abschluss ist sie nämlich mit einer Stimme gesegnet, die ihresgleichen sucht und selbst heiser noch alles übertrifft, was sich in der Popwelt und ihrer Peripherie "Gesangswunder" schimpft. Beispiel hierfür: Sharas Auftritt auf dem Hamburger Reeperbahnfestival, der aufgrund diverser Verschiebungen erst spät in der Nacht begann und trotzdem die wenigen Besucher, die so lange ausgeharrt hatten, bis in den letzten Zugabenblock hinein hypnotisch fesselte - obwohl Shara sich vor Beginn noch – völlig unverständlicherweise – mit einem „I’m kind of sick, so my voice sounds like crap“ für ihre angeblich suboptimal klingende Stimme entschuldigte.

Doch während sich Sirene Shara auf ihren letzten Album „Bring Me The Workhorse“ ihre mythische Insel nur mit einer „konventionellen“, aus Gitarre, Bass und Schlagzeug bestehenden Band teilte, verschlägt es sie auf „A Thousand Shark’s Teeth“ in einen geheimnisvollen Märchenwald der Instrumentierung, der mit Bratsche spielenden Faunen, Cello zupfenden Elfen, einem Streicherorchester aus Waldgeistern und dergleichen mehr bevölkert ist. Inmitten alldem wandert Shara durch das verträumte, doch durch den Einsatz der Waldgeister dennoch extrem intensive „The Ice And The Storm“, schleicht frech wie ein Obstdieb durch das verspielte „Apples“ und versteckt sich schließlich vor dem dunklen „Bass Player“ im Dickicht.

Doch auch wenn sich die arme Shara alleine durch ihren Märchenwald kämpfen muss, schweben immer wieder freundliche Gespenster an ihrer Seite: Mal lugt ihr ehemaliger Tourpartner Sufjan Stevens um die abgestorbene Eiche, mal huldigt Shara mit ihrem Gesang altehrwürdigen Portishead-Gottheiten, mal winkt Joanna Newsom aus ihrem Hexenhäuschen. Nichtsdestotrotz ist es immer wieder ihre eigene Note, die „A Thousand Shark’s Teeth“ zu einem Ort macht, durch den man Shara Worden gerne stundenlang hinterher irrt. Aufpassen muss man nur, dass man sich darin nicht vor lauter faszinierender Schönheit auf ewig verirrt. Aber so ist das eben mit den Sirenen.

Jan Martens

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