Rezension

Moses Sumney

Græ


Highlights: Cut Me // Polly // Me In 20 Years
Genre: Art-Pop
Sounds Like: Sampha // Perfume Genius // Frank Ocean

VÖ: 15.05.2020

Moses Sumneys Zweitwerk verhandelt den Komplex aus Einsamkeit, Blackness und Geschlechtsidentität mit ambitioniertem Art-Pop-Maximalismus.

„Græ“ ist purer Maximalismus auf 20 Songs, veröffentlicht in zwei Teilen. Man könnte das für eine der aktuell gängigen Marketingstrategien halten, um die Aufmerksamkeit des Publikums möglichst lange zu halten, dem Album kommt diese Teilung aber zu Gute. Die Detailverliebtheit auf „Græ“ lässt sich erst mit voller Aufmerksamkeitsspanne greifen, die Feinheiten der Songs und die inhaltliche Tiefe brauchen Zeit, um sich zu entfalten. All das liefe Gefahr mit klassischen Hörgewohnheiten im Streaming-Zeitalter verloren zu gehen. Sumney scheint einen Weg gefunden zu haben, sein Werk in vollem Umfang zu präsentieren, ohne sein Publikum zu überfordern.

Eingestreute Interludes rahmen das Album thematisch. Einsamkeit und Identitätsfragen rund um Blackness und Männlichkeit verweben sich mit den Songs zu existenziellen Fragen über das Selbst. Der Opener „Insula“ zeichnet die Herkunft des Wortes Isolation aus dem Wort Island nach und zieht diese Betrachtung durch das ganze Album. „Being Islanded“ wird zur Metapher für die schwarze Identität und die Einsamkeit unerwiderter Liebe. Auf „Polly“ versucht Sumney zu ergründen, ob er lediglich ein sexuelles Interesse seines polyamourösen Partners ist, oder ob die beiden darüber hinaus eine Beziehung zueinander haben. „Are you dancin' with me? // Or just merely dancin'?” wirft den Schatten der Einsamkeit voraus und schließt dabei an sein Debüt an, dass die Abwesenheit romantischer Liebe in Sumneys Leben thematisiert.

Das Zentrum von „Græ“ ist dabei jederzeit Sumneys unvergleichliche Stimme. Ob den brachialen Synthesizern auf „Virile“ oder die spärliche Akustik-Gitarre auf „Polly“, kein Arrangement kann Sumneys Gesang in den Hintergrund drängen. Durch alle Register treibt Sumney seine Songs vor sich her anstatt sich in sie einzufügen. „Me In 20 Years“ perfektioniert Sumneys Stimmeinsatz, sein Gesang unterwirft alle anderen Instrumente und schafft sich schier unendlichen Klangraum, nur um diesen am Ende einzig und allein mit seinem Gesang zu füllen. Wenn Sumney sich in den letzten Zeilen die existenzielle Frage seiner Einsamkeit stellt, kulminiert “Græ” musikalisch und thematisch. „Is it laced within my DNA // To be braced in endless January? // Have I become the cavity I feared? // Ask me in twenty years“. “Græ” hat keine Antworten auf seine Fragen und ist gerade deshalb nahbar.

Die größte Stärke von „Græ“ ist seine Wandlungsfähigkeit. Nicht nur das Album ist stimmlich, instrumentell und thematisch vielfältig, auch die einzelnen Songs befreien sich von jeglicher einengender Songstruktur und Erwartungen an ein Album. Dabei schafft Sumney trotzdem ein kohärentes Gesamtwerk, das seinen roten Faden behält. „Græ“ ist kein experimentelles Durcheinander, sondern die maximalistische Exploration einer Vision. Es soll die Zwischenräume abseits von Definitionen erforschen und schafft sich mit der Farbe Grau eine perfekte Metapher. Die Ungreifbarkeit, die musikalische und thematische Vielfalt und vor allem Moses Sumneys Stimme schaffen ein ätherisches Kunstwerk, das nicht festzupinnen ist. „Græ“ ist ein grenzenloser musikalischer Raum, in dem es unendlich viel zu entdecken gibt.

Robin Jaede

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Video zu "Virile"
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