Rezension

Moritz Krämer
Wir Können Nix Dafür
Highlights: Winkel // Nichts getan // 90 Minuten
Genre: Singer-Songwriter
Sounds Like: Gisbert zu Knyphausen // ClickClickDecker // Kettcar
VÖ: 04.03.2011

Zwei zentrale Probleme eröffnen sich beim Hören eines neuen, tiefgehenden deutschen Liedermacheralbums – in diesem Falle Moritz Krämers "Wir Können Nix Dafür". Erstens: Die schwere Bürde, welche der gute Gisbert zu Knyphausen mit seiner Neubelebung des deutschen Liedermachertums all seinen Kollegen auferlegt hat. Dem Vergleich mit ihm muss sich nun praktisch alles, was kommt, ausgesetzt sehen, und er ist dank der Großartigkeit zu Knyphausens eine harte Probe. Zweitens: Die aktuelle Stimmung des Hörers. Unmöglich, röhrend genuschelte Songs über die eigene Beerdigung ("Hinterher") zu genießen, während im Park die ersten offiziellen Frühlingssonnenstrahlen die Nase kitzeln. Wunderbar jedoch nach einem anstrengenden Tag, um bei einer Tasse Tee die eigenen Gedanken frei philosophieren zu lassen. Beseitigen wir das zweite Problem, in dem wir dem Album gegenüber aufgeschlossene Stimmung zur Grundlage nehmen – der Tee steht bereit – und prüfen wir das erste Problem: Hält "Wir Können Nix Dafür" dem Vergleich stand? Kann es sich überhaupt vergleichen lassen?
Ja und nein. Ja auf die erste Frage, nein auf die zweite. Es hält dem Vergleich stand, weil es diesem gar keine Chance lässt. "Wir Können Nix Dafür" ist dafür schlicht viel zu viel Moritz Krämer. Und das ist auch gut so. Der knapp 30-jährige junge Mann, zuletzt Titelheld der "Night Of The Nerds", eines szenischen Liederabends am schönen Leipziger Centraltheater, hat unter anderem aus den dort dargebotenen Songs endlich sein Debütalbum geformt. Zwölf Lieder, deren Melodien sich im Kopf festsetzen und den Hörer noch weiter begleiten, deren mit unverwechselbar zusammenhaltender Stimme vorgetragene Texte sich auf dem Bett der Melodien niederlegen und herumwälzen, zum Denken anregen.
Der kleine Prolog "Ich Und Du" versetzt den Hörer in die richtige Position: Beobachtend, auf die Rückbank ("Noch so ein Pärchen // wo man nicht auf der Rückbank sitzen will // Ich und du"). Und schon folgt man, mitdenkend, Krämers Worten: Wieviel, von dem, was wir nicht tun und nicht können, ist einfach Schicksal? Bis zu welchem Grad können wir etwas dafür? ("Wir Können Nix Dafür") Was denke ich eigentlich, wenn ich die Nachbarn beobachte? In "Nachbarn" singt Krämer so oft "Wie fühlt sich das an?", bis der Gedanke unausweichlich wird. Um dann vom Balkon mit Gitterstäben ins Kinderbettchen mit Gitterstäben zu wechseln, und der Beobachterperspektive so eine völlig neue Rolle zu geben. Krämers Stärke ist es sicher, die kleinen Gefühle ernstzunehmen und zu thematisieren, er ist sich auch nicht zu schade, vermeintlich Unangenehmes offen darzulegen wie in "Mitbewohnerin": "Einmal warst du oben nackig // so dass ich meinen Blick verlor". Selbst ein derart düsteres Thema, eines der Grenzthemen des Nachdenkens überhaupt, die eigene Beerdigung und damit den eigenen Tod, behandelt Krämer in "Hinterher" mit der angemessenen Prise Humor: "Putin ist nicht da und Rachel Weisz ist nicht gekommen // Mein letzter Wille für den Arsch // Was für ein beschissener Tag."
Eine Platte voll melancholischer Momente, deren größter Andauernder wohl "Winkel" ist, das leise, zurückhaltende Highlight der Platte, derer es aber auch viele kleine gibt, wie die wunderschöne Klaviermelodie inmitten von "Nichts Getan". Diese Momente sind es, welche Moritz Krämer deutlich abheben, und jedem Vergleich keine Chance lassen. Das erste Problem wäre somit aus dem Weg geschafft. Zum zweiten Problem: Wer gerade nicht in der Stimmung ist, der hat eben Pech gehabt. Und wer ein trübes Gemüt hat, kann sich wenigstens darüber freuen, Moritz Krämer aufzulegen, um die Gedanken in eine andere Richtung zu lenken.
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