Rezension

Montreal

Sonic Ballroom


Highlights: Tag Zur Nacht // Auf Der Faulen Haut // Plädoyer Fürs Bleiben
Genre: Deutschrock // Funpunk
Sounds Like: Das Pack // Benzin // Sondaschule

VÖ: 15.08.2014

Wenn man hierzulande eine Punkband gründet, hat man traditionellerweise zwei Möglichkeiten: Entweder man spielt politischen Punk, gegen Kapitalismus und das Establishment. Dann legt man sich Westen mit aufgenähten Slogans zu, spielt auf Demos und kann für die Musik und Texte aus einem unendlichen Fundus an Verfehlungen der Politik sowie weltweiten Missständen schöpfen. Schließlich liegt ja immer irgendwo etwas im Argen. Der andere Weg, der Punkbands bleibt, ist der Funpunk. Man stellt den Anarchiegedanken in den Vordergrund, gibt sich lustige bis dämliche Künstlernamen und singt über alles, was einem so einfällt, es herrscht thematische Narrenfreiheit. Je absurder das Thema, desto besser. Pluspunkte gibt es außerdem, wenn man möglichst viele Fäkalausdrücke einbauen kann. Ernst genommen wird man so zwar nicht, aber das ist ja auch nicht der Sinn der Sache. Nun gibt es zwischen diesen beiden klassischen Spielarten des Punk aber noch eine dritte, deren Problem eigentlich genau das ist: Sie sitzt sozusagen zwischen den Stühlen. Wer wie die Hamburger Band Montreal weder politisch noch wirklich anarchisch motiviert ist, steckt nicht nur ideologisch in einer Zwickmühle. Anfangs kann das gut gehen, doch nach den ersten paar Alben stellen sich oft einige Probleme ein.

Eine erste große Hürde ist, dass man unheimlich viel Kreativität aufwenden muss, um auf Dauer zu überzeugen. Rein musikalisch ist Punk ja schon per Definition weder komplex noch abwechslungsreich. Den Politpunks ist das egal, da zählt vor allem der Inhalt. Umso besser, wenn die Texte dank der immer gleichen Melodien schneller ins Ohr gehen. Den Anarchos ist wiederum eh egal, wenn alles gleich klingt. Wer nicht in eines der beiden Lager gehört, muss sich also möglichst mit inhaltlicher Kreativität hervortun. Montreal gelingt das auf ihrem fünften Album leider nur bedingt. Thematisch waren die Hamburger schon immer gut dabei. Unnötige Reunions, Friendzone, verschiedene Verwendungsweisen der Verben „liegen“ und „legen“ – über thematische Eintönigkeit kann man sich auf Sonic Ballroom wirklich nicht beschweren. Auf der musikalischen Ebene ist wie gesagt nicht viel herauszuholen: Gitarre, Bass und Schlagzeug, 4/4-Takt, klassische Punkrockmelodien. Die Lieder, in denen Montreal von diesem Schema abweichen, gehören leider zu den schwächsten der Platte (vor allem „Wie Der Erste Mensch“). Und textlich tun sie sich diesmal auch wirklich nicht positiv hervor. Es ist ja wirklich gemein. Ausländische Bands können den größten Schwachsinn singen – solange sie es auf englisch tun, fällt es gar nicht auf. Singt man auf deutsch, entdeckt plötzlich jeder den Literaturkritiker in sich. Da bleibt einem ja fast gar nichts anderes übrig, als mit vielen „Aaaahs“ und „Oh-oh-ohs“ von den Texten und dem eher mittelmäßigen Gesang abzulenken. Das gelingt durchaus, übertönt nur manchmal auch die guten Ideen.

Am besten sind Montreal zur Zeit wohl dann, wenn sie sich möglichst weit vom Punk entfernen und relativ offensichtlich mit dem Deutschrock flirten, zum Beispiel in den Refrains von „Auf Der Faulen Haut“, „Plädoyer Fürs Bleiben“ oder „Was Wir Haben“ – das alles haut einen als Hörer zwar nicht wirklich um, tut aber auch nicht weh und geht zugegebenermaßen ganz gut ins Ohr. Leider fehlt Montreal der Mut, komplett zum Deutschrock zu wechseln, es fehlen ihnen aber auch der kluge Witz und die Selbstironie, die Bands wie Sondaschule und Das Pack auszeichnen. So bleibt einem als Fazit eigentlich nur eine abgewandelte Zeile aus dem Anti-Reunions-Lied „Zucker Für Die Affen“: Danke, dass ihr zurück seid / mit dem fünftwichtigsten Album eurer Karriere.

Lisa Dücker

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