Was haben My Chemical Romance und Serj Tankian, seines Zeichens Frontmann der vielleicht-aber-vielleicht-auch-doch-nicht-aufgelösten System Of A Down gemeinsam? Eine solche Frage, im Quiztaxi oder einer anderen Rateshow ähnlicher Machart gestellt, würde sicherlich spontan Antworten wie "Haben internationalen Erfolg im semi-alternativen Musikbereich", "Sind Amerikaner" oder "Serge wer? Meikel WAS?" hervorrufen. Bestehen könnte der Moderator jedoch auch auf der Antwort "Sind Fans der Band Mindless Self Indulgence aus New York": Während My Chemical Romance sie jüngst als Support für ihre Europatour buchten, bezeichnet Tankian MSI - so die logische und gängige Abkürzung des Bandnamens - immerhin als "eine der kreativsten Bands der Szene."

Doch was genau soll man sich unter einer Band vorstellen, dessen Name etwas holprig mit "Stumpfsinnige Maßlosigkeit" übersetzt werden könnte? Nun ja, dass der Frontmann das Pseudonym "Little Jimmy Urine" trägt und sich auf älteren Alben des New Yorker Quartetts Songs mit poetischen Titeln wie "Faggot", "Bitches" oder "Masturbates" tummelten, dürfte angesichts eines solchen Bandnamens nur noch mäßig überraschen; dass Mindless Self Indulgence zumindest in den USA bereits eine recht stattliche Fanbase haben und dass "You'll Rebel To Anything jenseits des großen Teiches (wo es schon über zwei Jahre auf dem Markt ist) zumindest an den Billboard Top 100 kratzten, vielleicht schon eher.

Alles schön und gut, doch wie klingt das Ganze nun konkret? Oben genannte Bands sollten als mögliche Referenzen schnell vergessen werden: Der typische schwarz gekleidete, emotional unstabile My-Chemical-Romance-Fan wird das Konzert seiner Helden kaum mit einem Shirt der Vorband verlassen, mit System of a Down verbindet Mindless Self Indulgence immerhin die Neigung, Musik und Text ohne Vorwarnung komplett zu PAU!

...

sieren und mit circa einer halben Sekunde Stille zu unterbrechen. Was da jedoch genau unterbrochen wird, ist schwer zu beschreiben, mangels passenderer Termini kann jedoch die bandeigene Genre-Kreation "Industrial Jungle Pussy Punk" zur ungefähren Einordnung verwendet werden. Als Grundskelett mag man sich vielleicht eine beliebige Punkband vorstellen, die ihren Sound um Nintendo-Synthesizer à la Horse the Band oder Enter Shikari erweitert und mehr überraschende Melodie- und Rhythmuswechsel in ihre Musik einfließen lässt, als das ganze Fat-Wreck-Label zusammen. Hinzu denke man sich noch einen Sänger, der seine Stimmlage anscheinend beliebig mit der eines Eunuchen tauschen kann, der in einen Heliumtank gefallen ist, und schon erhält man Mindless Self Indulgence. Dass jeder der Tracks auf "You'll Rebel To Anything" diese Komponenten gleichermaßen verquirlt und doch jeder Song auf seine Weise zu einem stimmigen, individuellen Ganzen gerät, macht das Hervorheben einzelner Stücke ziemlich unnötig und spricht für die Qualität des Albums. Nun mag diese Beschreibung vielleicht eher abschrecken als Interesse wecken, aber dass der Versuch, Musik in Worte zu fassen, an sich ähnlich sinnlos ist wie der, zu Architektur zu tanzen, sollte allgemein bekannt sein. Dass solch wahnwitzige Genre-Mixe jedoch nicht nur geisteskranken Helga-Rezensenten gefallen können, sollte alleine schon der Verweis auf Tankians Gunst klarstellen.

Wieso "You'll Rebel To Anything" nun aber trotz aller Lobpreisungen erst mit so deutlicher Verspätung hierzulande erscheint? Ist es so unwahrscheinlich, dass Musik jenseits populärer Hörgewohnheiten auch hierzulande Freunde findet? Muss die Entscheidung zwischen der dreißigsten Tanz-Indie-Band und etwas Originellerem immer auf ersteres fallen? Und zeugt es von Ideenlosigkeit, wenn ein Rezensent jeden seiner Absätze mit einer Frage einleitet? Auf alle drei Fragen gilt: Hoffentlich nicht.

Jan Martens

Diskutieren

Lesen

Weitersagen

Finden