Rezension

Mindless Self Indulgence

If


Highlights: Prescription // Get It Up // Revenge // Mark David Chapman
Genre: Elektro-Punk
Sounds Like: HORSE The Band // NoFX

VÖ: 23.05.2008

Wenn ein männliches Wesen, das zuvor eher der Gattung "gemeines Hausschwein" als dem Homo Sapiens zugeordnet werden würde, auf einmal handzahm und zivilisiert wird, steckt meistens eine Frau dahinter. Denn da so ein frisch eingefangenes Schnittchen ja nicht gleich wieder vergrault werden soll, nimmt der Mann gerne Opfer auf sich, und die Herzensdame kann mit Freude beobachten, dass die Milch nun nicht mehr gierig aus der Tüte gesüffelt, sondern vornehm aus dem Glas getrunken, die Anzahl der nach Abwasch schreienden Schmutzteller zumindest im einstelligen Bereich gehalten und der Klodeckel fein geschlossen wird, statt bei jedem Besuch des Bads dem Besucher entgegenzugrinsen.

Wenn eine Band sich hingegen ungewohnt zahm gibt, steckt zumeist unerwartet eingetretene Popularität dahinter. Da solch ein plötzlicher Ruhm natürlich auch nicht unnötig riskiert werden, sondern exponentiell wachsen und gedeihen soll, wird für Album #1 nach dem Erfolg häufig so sehr am bandeigenen Sound herumgeschrubbt, -gewienert und -gebügelt, bis auch die letzte Alternativrockstation die Single mit Freuden zwischen Sum 41 und den Strokes auf der Playlist platziert.

Nehmen wir zur Verdeutlichung das Beispiel "Mindless Self Indulgence". Obwohl diese zwar schon immer hohes Ansehen bei namhaften Bands (allen voran System Of A Down) genoss und auch jahrelang von einer treuen Fanbase begleitet wurde, brachte erst das vierte Album der Band, "You'll Rebel To Anything", das, was vielerorts gern als "Durchbruch" bezeichnet wird: Zack! - Eintritt in die Billboard Top 100. Bamm! - Zwei Singles gar auf Platz 1 der Billboard Single Charts. Peng! - Erster Albumrelease außerhalb der Staaten. MSIs krude Mischung aus Elektrobeats, Punkattitüde, Hirnloslyrik und vor allem rhythmisch und melodisch herrlich zerfledderten Songstrukturen schien endlich ihr Publikum gefunden zu haben.

Auf „If“ ist dieser wilde Stilmix mehr oder weniger zu simplem Elektropunk kondensiert worden, der nun in 15 Häppchen in perfekter Popsonglänge serviert wird. Dass sich auch die Texte etwas, das man als gesunden, geistigen Normalzustand bezeichnen könnte, diesmal wenigstens annähern, kommt hinzu – ist jedoch nicht schwer verständlich, wenn man bedenkt, dass so gut wie jedes versaute Wort der englischen Sprache zuvor schon einmal als Liedtitel und textliches Leitmotiv verwendet wurde. Da diese Weide nun genügend abgegrast wurde, zeigen MSI nun beispielsweise ihre Idee von Romantik in jovial eingefügten Bemerkungen wie „I’d rather fuck you than kiss you“, betreten auf „Money“ beinahe schon Hip-Hop-Gefilde und betrauern die eigene Impotenz auf „Get It Up“ mit dem herrlich blödesten und leider auch am Hartnäckigsten mit Pattex im Ohr klebenbleibenden Refrain seit langem: „I wanna make some babies, I wanna get it on, I wanna make you horny, but I can’t get it up“.

All das ist an sich ganz amüsant, jedoch auf Albumlänge etwas ermüdend und vor allem nicht mehr ganz das, was man von einer der chaotischsten Bands der Staaten erwartet und erhofft hatte. Als die einzigen wirklichen Überbleibsel aus geisteskranken Zeiten bleibt wenig, in etwa das quirlige „Revenge“, bei dem die Band auch anscheinend ihre (ebenfalls wohl mittlerweile der Vergangenheit angehörende) Tradition wieder aufnahm, Sänger Little Jimmy Urine während der Aufnahme des Vocaltracks in willkürlichen Abständen in die Klöten zu kicken. Davon abgesehen ist „If“ im Großen und Ganzen die logische Folge von Touren mit Bands wie My Chemical Romance, die MSI auch einem traurigen, merkwürdig angemalten Emo-Publikum schmackhaft machten. Zumindest ist jedoch beruhigend, dass die vier Weirdos diese Entwicklung selber verstanden zu haben scheinen und sich auf dem abschließenden „Mark David Chapman“ – Überbleibsel #2 – selber dafür auf die Schippe nehmen können. Denn wer die Frage in den Raum wirft, ob das eigene Publikum mit seiner Standardfrisur nicht eigentlich wie „Adolf fucking Hitler with his swoopy emo-boy dreamy haircut“ aussehe, wird immer irgendwie etwas Besonderes bleiben. Wie heißt es auf „Never Wanted To Dance“ noch gleich: „I am too cool for the second grade.“ Eine Mischung aus Infantilität und Intelligenz - Mindless Self Indulgence eben.

Jan Martens

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