Rezension
Meursault
Pissing On Bonfires / Kissing With Tongues
Highlights: Salt, Pt. 1 // The Furnace // The Dirt & The Roots // A Few Kind Words // Oh, Neighborhood!
Genre: Indie-Folk // Folktronic // Singer-Songwriter
Sounds Like: Frightened Rabbit // Bon Iver // We/Or/Me // Eagleowl // Band Of Horses // Chris Bathgate // Donovan Woods // Dan Mangan
VÖ: 12.11.2010
„Pissing On Bonfires / Kissing With Tongues“ steht da in hastig hingekritzelten Buchstaben auf dem Cover, dazu eine dilettantische Zeichnung eines sich unbeholfen küssenden Pärchens. Viele werden dieses Album beim Stöbern im Plattenladen in die Hand nehmen, sich über den seltsamen Titel wundern und es wieder zurücklegen. Doch dieses Album darf man nicht verpassen. Was der unscheinbare glatzköpfige Schotte Neil Pennycook und seine Band, die sich nach dem französischen Weinort Meursault benannt hat, auf ihrem Debütalbum von sich geben, ist so überwältigend, dass man sich fragt, wie es zwei Jahre dauern konnte, bis es seinen Weg nach Deutschland gefunden hat. Meursault sind so direkt, so wild und so eigenwillig, wie es das Albumcover suggeriert, ohne dass sie bei all der Leidenschaft und dem Übermut, mit dem sie ihre Songs in die Welt hinausschreien, Gefahr laufen, sich zu verlaufen. Diese Band weiß ganz genau, was sie macht.
Und wie es bei den besten Alben eben so ist, gibt es da eigentlich nichts zu erklären. Die Musik spricht für sich. Neil Pennycook lebt für die Musik und hat alles, was er hat, in diese Songs gesteckt, das spürt man in jedem Moment dieses Albums. Diese hemmungslose Leidenschaft packt den Hörer, sie steckt ihn an und lässt ihn nicht mehr los. Ist diese Musik schön? Es spielt keine Rolle, denn sie erreicht alles. Wenn es aus Pennycook hervorbricht und er einfach alles hinausschreit, bis er fast seine Stimme verliert, wenn die gnadenlos pochenden Beats die Überhand gewinnen und sich Dissonanzen breitmachen, wenn das penetrante Banjo mit seinen blechernen Klängen die Luft zerschneidet, ist das nie anstrengend, sondern einfach nur mitreißend und begeisternd. Der perfekte Opener „Salt Pt. 1“ und das im Freudentaumel tanzende „The Furnace“ sowie das großartige „A Few Kind Words“, das in einer besseren Welt die Tanzflächen jedes Indieclubs füllen würde, sind die Songs, die Meursault von ihrer überschwänglichsten Seite zeigen.
Doch nicht immer gehen Meursault in ihren musikalischen Ausdrucksmitteln bis ans Äußerste. „Salt Pt. 2“, das besonnene Gegenstück zum aufrüttelnden Opener, nimmt mit Akkordeon, Harmonium und Banjo den Wind aus den Segeln, ohne den Fluss des Albums zu stören. Auch im nachfolgenden „The Dirt And The Roots“ zeigt sich Pennycook nachdenklich: ”And never will I find anything that will bind me to all that I knew / Until I find out I will bury my heart beneath the dirt, the soil, and the roots” singt er, während sich das verhallte Harmonium mit seiner eingängigen Melodie in immer luftigere Höhen aufschwingt, bevor es sich im Nirgendwo verliert. „A Small Stretch Of Land“ ist einer der einfachsten und eindringlichsten Songs des Albums. Nur von der Akustigitarre begleitet singt Neil Pennycook von Trennungsschmerz und Selbstmordgedanken.
Selbst wenn man sich nach „Oh, Neighborhood!“ nicht sicher ist, wie man Meursaults finstere Lyrik zu deuten hat, ist man doch fasziniert von der emotionalen Durchschlagskraft dieses einfachen Folksongs, mit dem „Pissing On Bonfires / Kissing With Tongues“ einen würdigen Abschluss findet. Die beim Deutschland-Release angehängte, nicht minder großartige „Nothing Broke EP“ ist eine schöne Zugabe, die man aber als eigenständiges Werk betrachten sollte: nur dann zeigt sich, wie gut „Pissing On Bonfires / Kissing With Tongues“ in seiner Gesamtheit ausbalanciert ist. Meursault ist eines der bewegendsten und ungewöhnlichsten Folkalben der letzten Jahre gelungen, wenn man hier überhaupt noch von Folk sprechen kann. Unbeirrbar verfolgen sie eine ganz eigene musikalische Linie und machen dabei alles richtig. Wer das Gefühl hatte, der Folk befände sich momentan in einer Sackgasse, muss dieses Album hören. Meursault haben den Ausweg gefunden.
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