Rezension

Madrugada

Madrugada


Highlights: What's On Your Mind // Honey Bee // New Woman / New Man
Genre: Rock
Sounds Like: Nick Cave // Sivert Hoyem // Devastations

VÖ: 16.05.2008

Ladies & Gangsters,…

… beginnen Madrugada ihre Myspace-Mitteilungen. Fühlen Sie sich ein wenig angesprochen? Auch nur ein klein wenig? Sehen Sie in der Bezeichnung Unhold eher eine Auszeichnung statt negativer Anmahnung? Das gelebte Dandytum eines Nick Cave oder Blixa Bargeld ist Ihnen ein Vorbild? Ihre Kleidung impliziert jeden Tag, dass Sie ins Theater gehen wollen, allerdings gehen Sie nicht, weil Sie mit reichen Snobs nichts zu tun haben wollen? Sie suchen nach Alben, die zu Ihnen passen? Man möge mir die vielen persönlichen Fragen entschuldigen, aber wenn auch nur ein Teil der Antworten zu den Fragen "ja" ist, haben Madrugada für Sie die Platte des Jahres veröffentlicht.

„Is there nothing you could say, before you turn and walk away/ I can't believe your heart, there's something wrong with it/ Whatever happened to you?”. Bereits nach wenigen Sekunden wird deutlich, Madrugada besingen die großen Gefühle, das liebende Leben oder besser, was daraus geworden ist. Mit vibrierender, zitternder Stimme steigt Sänger Sivert Hoyem bei „What Ever Happened To You“ mitten in den Verlust eines vormals geliebten Menschen ein, fragend: Was blieb von früherem Empfinden? Begleitet wird er dabei von dem markanten Gitarrenspiel des letztjährig verstorbenen Robert Buras, dessen Andenken dieses Album gewidmet ist. Es folgt „Hour Of The Wolf“, ein drehender Rocksong mit kryptischem Text. Diesmal wird nicht zum Betrauern eingeladen, nein, man wird faktisch zum Tanzen gezwungen. Madrugada sind eine Rockband, hier beweisen sie es. „Look Away Lucifer“ beginnt mit vielen Worten, die eigenen herbeigerufenen Geister beziehungsweise Teufel beredend - Nichts ist hier zu holen Luzifer, es gab zwar einen Grund, warum gerade wir uns trafen, aber nein, danke, ich brauche deine Angebote nicht – so die Interpretation der Worte. Die Musik wirkt zunächst untermalend, bricht aber gegen Mitte des Stückes völlig von Sinnen los, ein Gewitter loszubrechen, das sich erst einmal abreagieren muss, ehe wieder Hoyem den Kampf gegen innere Dämonen antreten darf.

„Honey Bee“ schlägt dann wieder den Bogen zum zwischenmenschlichen Austausch diverser Gemeinsamkeiten, vornehmlich nachts auf weichem Untergrund. Schmachtend verzehrt sich der Charakter dieser Erzählung nach seiner Liebsten, der Hintergrundchor bestehend aus Ane Brun und Ingrid Olava trägt sein übriges dazu bei. “Well, it happened once again /The same thing that happened time and time again/And I should look the other way” heißt es in “New Woman/ New Man”. Nahezu jeder wird das Phänomen kennen, sich wider jeglichen Verstandes in Liebesdinge wieder und wieder verrannt zu haben, deren Scheitern bereits im vornherein feststand. Madrugada besingen dies, stilvoll pianobegleitet und glücklicherweise nicht in pathetisches Gesäusel abdriftend. Auf der Bühne besitzen Madrugada diese Art stilvolle Coolness, im Anzug auf der Bühne nicht wie deplatzierte Versicherungsvertreter oder Halbwüchsige zu erscheinen und sind so die Verkörperung des ewigen Liebhabers, entweder schwebend oder leidend, jedoch niemals rationalem Empfinden unterworfen. „Whats on Your Mind“, der wohl beste Song, den Madrugada jemals veröffentlich haben (trotz „Only When You’re Gone", „Step Into This Room And Dance For Me” und „Strange Colour Blue”) greift ein ähnliches Thema auf wie der erste Song dieses Albums, das Nichtverstehen, was wie warum passiert ist und wieso es ausgerechnet so gekommen ist, wie es ist. Neben dem Madrugada-typischen Instrumentarium stehen hier besonders die Streicher dafür ein, dieses Stück zusätzlich zu veredeln. Der perfekte Popsong.

Es sei jedem nur angeraten, sich die elegante Schönheit dieser Platte selbst zu erarbeiten. Vieles, was im Detail steckt, lässt sich nicht in Worte fassen, besonders die Art und Weise, wie die Stimme Sivert Hoyems mit den Instrumenten zusammenarbeitet oder Momente geschaffen werden, dessen Stimmung nicht zwischen Notenblätter oder Textzeilen passen. Jeder der neun Songs ist ein Kandidat für ein Madrugada-Best-Of und das, obgleich diese mit „Industrial Silence“ und „The Nightly Disease“ bereits zwei Meisterwerke geschaffen haben. Zum Abschluss kommt noch einmal Robert Buras selbst zu Wort. „Our time won't live that long”, die letzte Zeile dieser Platte gehört ihm. Leider sollte sie sich als wahr herausstellen.

Klaus Porst

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