Rezension

Lady Sovereign

Public Warning


Highlights: Public Warning // Random // 9 to 5
Genre: Grime
Sounds Like: Dizzee Rascal // Melbeatz // Ms. Dynamite

VÖ: 30.03.2007

Def Jam erobert die Welt. Erst die Teriyaki Boyz (Japan) und jetzt Lady Sovereign (England). Beides Künstler, die klar auf die Portemonnaies des weißen amerikanischen Mittelstands zielen. Nicht umsonst wurde Lady Sovereign in den Staaten schon als FEminem bezeichnet. In der britischen Heimat herrschen dagegen Vorbehalte, ist ihr Ruf dort doch vergleichbar mit der Wahrnehmung von Bushido, Sido, Fler und Frauenarzt in Deutschland. Heißt: Sozialer Ausschuss, weißer Müll.

Jung, klein, weiblich, weiß. Das Rumoren des Netzes bezüglich Lady Sovereign und ihrer Musik, ihres sowohl im UK-Garage/Grime/Dubstep als auch im Punk, Ska und Reggae verwurzelten HipHop, dieser Buzz hält nun seit fast drei Jahren an, und viele der Tracks auf dem Album, ließen und lassen sich legal im Netz finden. So werden die Checker, die eh alles kennen, enttäuscht sein, auf „Public Warning“ wenig Neues zu finden. Sie werden sich beschweren, wie poppig Sov doch geworden sei, wie wenig harter UK-Grime-Sound in ihren neueren Tracks steckt und wie sehr ihre Musik unter weichgespülten Produktionen (z. B. „Hoodie“) leidet.

Sagte man dies Lady Sov ins Gesicht, würde sie insgeheim vielleicht zustimmen, einem aber dennoch ein F*CK U ins Gesicht spucken. Eine berechtigte Einstellung – also das f*cku. Wo deutsche Prekariats-Rapper Airplay nur aufgrund Pseudo-Attitüden und ebensolcher Herkunft erhalten, zeigt ihre britische Kollegin, was möglich ist, mit einem vernünftigen Produzenten und dem nötigen Flow. Die Rhymes bouncen, die Sprache fließt, stolpert, schlägt Bögen, versickert, schießt hervor. Wo Bushido ein kanalisierter, erstickter Bach unter Hamburg-Osdorf oder Berlin-Marzahn ist, klingt Lady Sovereign wie ein glasklarer Bergbach, dem Luft und Raum gegeben wird, der sich in die Tiefe ergießen kann, Wirbel schlagen darf und immer genug frischen Sauerstoff bekommt.

Im Grunde müsste „Public Warning“ - wie Dizzee und Mike Skinner - sowohl bei „mutigeren“ Radiostationen, wie auch bei HipHop-interessierten Indie-Hörern guten Erfolg haben. Ob Sov jedoch zwischen Beyoncé, Bushido, Fergie, Fanta 4, X-Tina und Jay-Z die Käufer ebenso überzeugen kann, bleibt abzuwarten. Ihren Namen werden in einem halben Jahr die meisten kennen, besitzen wird das Album sicher nur ein Bruchteil. Dabei bietet es von allem ein bisschen. Das von Basement Jaxx produzierte „Blah Blah“ ist sowohl hart genug für die Party-Rock-Disko, wie auch für die HipHop-Party. Es ist vielleicht kein Ohrwurm, aber zwischen Clowning und Pogo ist alles drin. Den Track zur nächsten IPod-Werbung – oder doch eher für die nächste Adidas-Kampagne – den Song also, den jeder Mitsummen kann, gibt es auch. „Hoodie“ ist das Gegenstück zu Fergies „London Bridge“. Wo die BEP-Tante nur peinlich ist, machen Louise und Hausproduzent Medasyn alles richtig. Das mit Gitarrensamples behaftete „Those Were The Days“ ähnelt fast Naughty By Nature, und „My England“ stellt als langsam dahin dräuendes Etwas die britischen Klassengegensätze zwischen Posh und Chav, zwischen Cricket und Playstation klar.

Am meisten treiben die lupenreinen Grime-Tracks: Das eher mittelmäßige „Tango“, dazu das zwischen düsteren Bässen und Piano-Klängen pendelnde „A Little Bit Of Shhh“ und die Single „Love Me Or Hate Me“. Letztere versucht, die Missy und Dizzee zusammenzubringen, wogegen der Titeltrack „Public Warning“ ebenso sehr aus The Clash, wie aus The Stranglers, wie aus Prodigy, wie aus UK-Garage Elementen besteht. Einer der ältesten Tracks – „Random“ – ist sicherlich eines der Highlights. Als Grime in Reinform zeigt der Song sowohl die Qualität Sovereign’scher Lyrics und Flows als auch ihres Produzenten.

An die zwanzig Tracks machten in den letzten Jahren schon die Runde. Vieles findet sich hier. Mehr Ungehörtes, aber vor allem mehr Mutiges, mehr 2006/2007 hätten dem Album vielleicht gut getan. Aber wer bin ich, mich über eine nicht höher als hohe Qualität zu beschweren.

Live soll Madame übrigens noch besser sein.

Oliver Bothe

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