Rezension

Klaxons

Myths Of The Near Future


Highlights: Atlantis To Interzone // Golden Skans // Magick // It's Not Over Yet
Genre: "New Rave"
Sounds Like: Goose // Shitdisco //Digitalism // The Whip

VÖ: 23.03.2007

Das musikalische Unwort des Jahres 2007? Ganz klar – New Rave. Bis heute weiß eigentlich niemand so genau, was dieser Begriff eigentlich aussagt, werden doch stilistisch teils äußerst unterschiedliche Interpreten so betitelt. Der NME jedoch schien es besser zu wissen und echauffierte sich einst, die Klaxons hätten das Wesen des New Rave nicht verstanden. Doch wer hatte den Begriff eigentlich überhaupt erfunden? Exakt, eben jene Klaxons aus London waren es, was die argumentative „Logik“ des NME ad absurdum führte. Hinzu kommt, dass sich dahinter noch nicht einmal eine Philosophie verbarg, sondern lediglich die Wiederbelebung der 90s-Trash-Neonfarben als Vermarktungsstrategie, sowie die Legitimation des Konsumes synthetischer Drogen unter dem Rave-Deckmantel.

Dabei hat die Musik der Klaxons mit dem Namenspatron Rave eigentlich nicht viel gemein. Gitarren, Bass, Drums, alles wie gehabt im England des 21. Jahrhunderts, nur zahlreiche Keyboard-Effekte zeugen von einer Hommage an die Vorbilder der frühen 90er. Und doch war es vielleicht gerade dieser Stilmix, der in der Welt der Musik zuvor fehlte. Beispiel: Atlantis To Interzone. Durch Mark und Bein dringende Sirenen paaren sich mit grenzgenialer Bassline, und die scheinbar willkürliche Aneinanderreihung eigentlich miteinander unvereinbarer Songfragmente macht den Track zum wohl dissonantesten und untanzbarsten Indiedisco-Kracher des Jahres. Mit den Klaxons weicht auf der Tanzfläche dann auch jegliches verbliebenes Schamgefühl dem ungezügelten Bewegungsdrang. Attraktiv in der Ecke stehen war gestern, heute ist abspacken!

Dass es auch zumindest ein kleines Bisschen gemäßigter geht, zeigt direkt im Anschluss Golden Skans, welches ein weiteres Klaxons-Charakteristikum perfektioniert: den zweistimmigen Gesang, wobei obere Stimme die oktavierte Falsett-Variante der unteren darstellt. Dies verstärkt einerseits den Druck und die Überzeugungskraft der Vocals, andererseits entsteht so aber auch eine Art distanzierter Sci-Fi-Touch. Wohl beabsichtigt, wenn man die Videos und die kryptischen Lyrics der Klaxons in Betracht zieht. An zweiteren scheiden sich dabei die Geister. Der Grad zwischen gewollter Phantasiereise und kompletter Sinnentleertheit ist jedenfalls nicht gerade breit, insbesondere beim Betrachten solcher Zeilen wie Cerebrella sitting on the totem timeline // unwelcome foreign hands are very hard to find // and hangman also die // in Famagusta’s hive.

Wirkliche Kritikpunkte sind, abgesehen davon, aber Mangelware. Kracher reiht sich auf Myths Of The Near Future an Kracher, lediglich drei Songs (Two Receivers, As Above, So Below und Four Horsemen Of 2012) präsentieren sich eher unspektakulär und gewähren dem Hörer einige Augenblicke zum Luftholen. Der Rest ist eine pure (oder vielleicht doch – wie die Klaxons sogar selbst zugeben – durch künstliche Mittelchen unterstützte) Energieleistung, die ihresgleichen sucht und dabei auch ihren Abwechslungsreichtum nie verliert. Stets auf der Suche nach neuen Melodie- und Effektbausteinen, werden sämtliche Register gezogen, wobei sich insbesondere die Stimmbandakrobatik sehen lassen kann. Und, siehe da, auch die melancholische Nummer für den Herbst fehlt dank It’s Not Over Yet nicht. Ein komplettes und vielseitiges Debüt also, mit dem man sich auch auf langen Reisen wach halten kann. Wenn es sein muss sogar von Atlantis bis zur Interzone.

Johannes Neuhauser

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