Rezension

K.I.Z.

Hurra Die Welt Geht Unter


Highlights: Wir // Boom Boom Boom // Hurra Die Welt Geht Unter
Genre: Deutschrap
Sounds Like: Audio 88 // grim104 // Zugezogen Maskulin // Trailerpark

VÖ: 03.07.2015

Es ist ein großer Fehler zu sagen, dass K.I.Z. nun mit "Hurra, die Welt geht unter" gesellschaftskritischer geworden seien. Denn wer die Gesellschaftskritik auf den Alben seit 2005 nicht erkannt hat, dem ist auch nicht zu helfen. Richtig hingegen ist, dass "Hurra Die Welt Geht Unter" den Weg der Post-Ironie und der neuen Ernsthaftigkeit beschreitet. Und das zum Teil brutal kompromisslos, zum Teil nicht in letzter Konsequenz. 

Die Vorzeichen standen gut. Mit dem Kannibalenlied, das sich der Naziästhetik der 20er Jahre bedient und die Kannibalen in Zivil ("aufrecht, weise, stabil") als Führer in einer post-kapitalistischen Dystopie inszeniert, wurde ein Weg beschritten, der mit den Single-Auskopplungen "Boom Boom Boom" und dem hervorragenden "Hurra Die Welt Geht Unter" mit Henning May von Annemaykantereit erfolgreich fortgeführt wurde. Beide kritisieren mit offenem Visier bestehende Zustände. “Boom Boom Boom” prangert den Partypatriotismus und den nicht mehr ganz so subtilen Rechtsruck in der Gesellschaft mit scharfen Worten an: 

"Meine Vorfahren haben Wildschweine gejagt 
Jetzt leb' ich mit Barbaren, die tun was die Bildzeitung ihn' sagt 
Ihr Partypatrioten 
Seid nur weniger konsequent als diese Hakenkreuz-Idioten 
Die geh'n halt noch selber ein paar Ausländer töten 
Anstatt jemand' zu bezahl'n, um sie vom Schlauchboot zu treten." 

Derweil skizziert der Titeltrack eine Post-Untergangs-Dystopie, in der weder Kleidung noch Geld oder Religion eine Rolle spielen. Im Rio-Reiser’schen Sinne wird hier kaputtgemacht, was die Menschen kaputt macht und auf Gefängnisgittern in den Trümmern der Deutschen Bank gegrillt. 

Das alles macht Spaß und weckt Interesse. Nico, Maxim, Tarek und Sil-yan nehmen uns mit in eine Welt, in der die Dinge, die uns Kummer bereiten, einfach ausgelöscht werden. Sie inszenieren eine neue Bewegung, in der sie sich selbst als gottesgleiche Führer stilisieren. Der Eröffnungstrack "Wir" geht genau diesen Weg und präsentiert in einer einzigen Götterdämmerung die Lösung aller Probleme. 

"Kein Plan, warum ihr Christen, Moslems und Juden noch Streit habt 
Allah, Jehova, Gott - Jungs, duzt mich doch einfach" 

Hier wird schon klar: So ganz ohne Ironie geht es eben nicht. Das war zu erwarten und doch liegt hier das größte Problem von "Hurra Die Welt Geht Unter”. Die veröffentlichten Singles, der Eröffnungstrack sowie die Promotion der Platte inklusive des großartigen Propaganda-Songs “Das Kannibalenlied” ließen einen “Soundtrack der Systemkritik” erwarten. Eine Dystopie. Ein Themenalbum, das uns in ein Abenteuer verschleppt. Auf die Reise in ein Reich des “Was-wäre-wenn” und damit in eine erneute Deutschrap-Revolution. Stattdessen erhalten wir Tracks wie “Ariane” oder “Geld”, die sich mit der klassischen K.I.Z.-Ironie den Schwachstellen dieser Gesellschaft widmen (Kapitalismus, Bück-dich-hoch-Attitüde, Sexismus und Homophobie). Das ist weit davon entfernt schlecht zu sein und schafft es hier und dort immer noch zu provozieren, doch den Erwartungen wird es nicht gerecht. “Hurra Die Welt Geht Unter” ist keine weitere Deutschrap-Revolution, sondern führt mit einigen Ausreißern nach oben die Bandgeschichte solide weiter. Doch Tracks wie das zugegeben großartig absurde “Was Würde Manny Marc tun?” täuschen nicht darüber hinweg, dass hier eine Chance vertan wurde. Die Chance, aus einem guten, soliden Album mit gewohnt bissiger Gesellschaftskritik und dem klassischen K.I.Z-Humor (“Käfigbett”) einen Meilenstein zu machen. Die Singles und das aufrichtige “Freier Fall” deuten die verpasste Möglichkeit an. Die Taka-Tuka-Ultras wird es nicht interessieren. K.I.Z. sind auf Tour und führen ihre eigene Bewegung weiter. Vielleicht mit genug Schlagkraft für den nächsten Wurf?

Andreas Peters

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