Rezension

Jorge Drexler

12 Segundos De Oscuridad


Highlights: Disneylandia // Transoceanica // La Infidelidad En La Era Informática
Genre: Pop
Sounds Like: José González // Thom Yorke // Portishead

VÖ: 20.10.2006

Jede Rezension – und jeder andere Bericht – über Jorge Drexler und sein Album „12 Segundos De Oscuridad“ beginnt mit dem Hinweis, er habe 2005 als erster spanischsprachiger Komponist einen Oskar™ für den besten Filmsong bekommen. Es folgt – oder geht voraus – der Hinweis Drexler sei Uruguayer, lebe aber in Spanien.

Pflicht erfüllt. Kommen wir zur Musik. Für den des Spanischen nicht vollständig Mächtigen besteht dieses Album tatsächlich sprachlich aus mehr als 12 Sekunden der Unklarheit, der Dämmerung, so dass er sich leicht dazu verleiten lässt, dies als schnulzige Leichtigkeit abzutun. Insofern bedurfte es auch des Radiohead’schen „High and Dry“, das Drexler covert, um mich „12 Segundos De Oscuridad“ probehören … und danach das Album kaufen zu lassen; denn ausgehend von einer melancholischen – schnulzigen – Songwriterposition entwickelt Jorge Drexler auf seinem inzwischen achten Album eine so dichte Atmosphäre, dass man sich ihrer kaum entziehen kann. Dabei mischt er in den zwölf Songs klassische „folkloristische“ Singer-Songwriter-Elemente mit leichten elektronischen Spielereien und Jazz zu einem kleinen Kunstwerk, … oder wie die Plattenfirma es nennt: „ein unwillkürliches Kunstwerk“.

Unwillkürlich, unwirklich und unwillkommen gestalten sich auch die Empfindungen, die einen durchfließen, wenn man diese zarte und vielseitige Platte hört. Intim wie ein Tagebuch – eine der Metaphern, die ebenfalls in vielen Texten vorkommt – denn genau daraus ist sie entstanden, aus den Tagebucheinträgen eines Mitvierzigers, der seine Emotionen nicht nur auf der Zunge sondern auch in den Fingern trägt. In den Händen, welche die Gitarre spielen und ihre Melodien schreiben. Die ganze weite Welt erstreckt sich voller Melancholie zwischen „12 Secundos de Oscuridad“ und „El Fuego Y El Combustible“, dem ersten und dem letzten Stück des Albums. Selbst einen vorantreibenden Tag an der See – wie der Song „Transoceanica“ ihn in Gedanken erweckt – verwandelt die sanfte Stimme des Sängers in ein Stück Musik, das einem die Tränen in die Augen treibt. Apropos Stimme: Diese hat ihm schon den Ruf eingebracht, ein südamerikanischer Jack Johnson zu sein. Vergleiche ich dieses Album mit dem mir bekannten Teil von Johnsons Werk, kann ich dies nur als Beleidigung Drexlers sehen. Wenn dieser in „Disneylandia“ (von Arnaldo Antunes) Downbeat und Weltmusik zusammenbringt, um die Teilung der Welt in erste und vierte, in einheimisch und zugewandert, in Ober und Unter zu besingen, dann hat das so gar nichts mit unserem Surfsänger zu tun. Musikalisch ähnlich als Mischung aus Portishead und José Gonzales präsentiert sich uns auch „La Infidelidad En La Era Informática“.

So zeigen sich gute Songs auf diesem Album wie an einer Perlenschnur aufgezogen. Ihnen allen ist gemeinsam die zarte Stimme von Jorge Drexler und die Tiefe, in der sie uns berühren. Dabei ist es egal, ob Folk, klassische lateinamerikanische Elemente, Jazz, Electro oder Pop ihre Heimat ist, oder ob sie sich aus all diesen Genres gleichzeitig nähren; schlecht ist keiner. Und dieses Album eine der vernachlässigten Perlen des Jahres 2006. Ende.

Oliver Bothe

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