Rezension

John Vanderslice

Emerald City


Highlights: Kookaburra // The Minaret // Central Booking
Genre: Singer-/Songwriter
Sounds Like: Bright Eyes // Ben Kweller // Okkervil River

VÖ: 02.11.2007

Es ist mal wieder Herbst und alle schreien „Es ist Herbst! Und wo war der Sommer?“, nur um anschließend in den üblichen Singsang über verregnete Wochenenden, goldene Blätter, viel zu dunkle Tage und tiefgreifende Depressionen zu verfallen. Jedes Jahr das gleiche Prozedere, aber jedes Jahr auch die gleiche Sehnsucht nach vergangenen Sommertagen (auch wenn diese spärlich gesäht waren). Der Sommer ist ein Mix aus leichtem Pop und knalligem Elektro, menschliche Bewegungen eher tanzen als gehen. Der Herbst hat so viel Leichtigkeit nicht verdient und es fühlt sich auch niemand mehr danach. Also: Plattenkiste auf und raus mit dem düsteren Kram. Schön, dass es auch dieses Jahr wieder das perfekte neue Album für all unsere Wehwehchen gibt.

John Vanderslice heißt der gute Mann, der uns diesmal mit dem nötigen Stoff beliefert. Gierig lechzen wir nach Melancholie und werden gleich mit einer Spritze „Emerald City“ versorgt. Gemeint ist hiermit die Grüne Zone, die hermetisch abgeriegelte, „sichere“ Regierungszone in Bagdad. Sowieso: Die USA, Geschichte, Gegenwart, Zukunft, ziehen sich als klassischer roter Faden durch das Album. Vanderslice macht gerade eigene Erfahrungen mit dem heimatlichen Rechtssystem. Seiner französischen Freundin wurde die Einreise verweigert. Ein einsamer Herbst. Aber Glück für uns. Wer weiß, ob „Emerald City“ auch ohne diese Verzweiflung so herrlich intensiv geworden wäre.

Vanderslice erinnert nicht selten an einen weniger weinerlichen Conor Oberst, manchmal auch musikalisch. Beide teilen die Gabe, Emotionen nicht nur hören zu lassen, sondern auch zu vermitteln. „Kookaburra“, als Einstiegssong, weckt Ängste, Verzweiflung, fesselt und lässt nicht mehr los. ,Hey, John! Mir ging es doch gerade noch gut, was soll das?' „Time To Go“ ist noch stärker. Wer hatte eigentlich behauptet, dass ruhige Musik nicht einen bösen Beat haben darf? Wenn man über Amerika, Manifest Destiny und den American Dream singt, darf auch der Krieg nicht fehlen. „The Minaret“ drückt auf die amerikanische Seele, enthält all die Zweifel und Fragen, die ein fantastischer Antikriegssong braucht. Natürlich, wie sollte es auch anders sein, kommt auch das allgemeine Lieblingsthema fast aller Musiker und eigentlich auch aller anderen Leute nicht zu kurz: Die Liebe. Aber Vanderslice darf das auch. Einerseits, weil dabei wunderbare Songs wie „Central Booking“ herauskommen und weil er sich in einer verdammt beschissenen Situation befindet.

Also, Tasse Tee kochen, aufs Sofa unter die Decke kuscheln und darüber freuen, dass John Vanderslice, der in den USA schon länger eine feste Größe ist, auch hier endlich einen Plattenvertrag bekommen hat. Melancholie kann manchmal so schön sein. Der Herbst ist toll, weil nicht-düstere Musik auf Dauer auch langweilig ist.

Lisa Krichel

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