Rezension

John Grant

Grey Tickles, Black Pressure


Highlights: Disappointing // You And Him // Grey Tickles, Black Pressure
Genre: Synth-Pop // Elektro-Pop
Sounds Like: Hercules And Love Affair // Perfume Genius // The Czars // Yann Tiersen

VÖ: 09.10.2015

"Die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand, die Liebe hört niemals auf."

Das Hohelied der Liebe – ein biblischer Lobgesang an die Liebe, und eine noch heute existierende christliche Vorstellung der zwischenmenschlichen Verbundenheit.

Wer wie der Künstler John Grant im stark religös geprägten Colorado aufgewachsen ist, bekam wohl seit seiner Kindheit von seinem frommen Umfeld gelehrt, dass Liebe genau so auszusehen hat und genau so sein soll, wie im Hohelied der Liebe beschrieben. Ein Idealbild, welches auch Grant sehr lange durch sein Leben begleitet hat und das sich fest in ihm manifestierte. Umso folgenschwerer war daher für Grant die Erkenntnis, vor allem nach seinem öffentlichen Outing als Homosexueller, dass er statt mit warmherziger Liebe immer wieder mit Hass, Herzlosigkeit und Ausgrenzung konfrontiert wurde. Eine Erfahrung, die ihn in tiefe Depressionen und Alkoholsucht stürzte. Zwar konnte Grant diesen Tiefpunkt seines Lebens mithilfe seiner Musik mittlerweile überwinden, doch die Enttäuschung und die Wut über eine immer noch in weiten Teilen existierende homophobe Gesellschaft beschäftigen den Wahl-Isländer noch immer sehr.

Daher ist es genau diese Thematik, mit der sich Grant auf seinem neuem Album "Grey Tickles, Black Pressure" konkret auseinandersetzt. Am Anfang beginnt es folgerichtig exakt mit den Zeilen, die dafür verantwortlich sind, wie sich Grant die Liebe als Kind vorstellte: besagtem Hohelied der Liebe. Da das Album auch mit den biblischen Zeilen über zwischenmenschliche Verbundenheit endet, stellt das Hohelied sozusagen einen Rahmen dar für die zwölf Songs zwischen Intro und Outro, in denen Grant seine persönlichen Erfahrungen besingt. Teilweise tieftraurig und eindringlich, oft aber auch mit viel schwarzem Humor setzt sich Grant mit den Erfahrungen seiner Vergangenheit auseinander, wie beispielsweise im Song "You And Him". Hier verhöhnt Grant äußerst eindrucksvoll all die ihm begegnenden hasserfüllten Menschen, die nur durchs Leben gehen, um andere Leute fertigzumachen. Genau diesen Menschen schlägt Grant äußerst spöttisch sogar ein Treffen mit Hitler vor, um gemeinsam die Garage zu putzen oder einen Pullover zu stricken: "You and Hitler oughta get together // you oughta learn to knit and wear matching sweaters."

Unterstützt wird Grant bei diesem Song von Amanda Palmer (The Dresden Dolls), die neben Tracy Thorne (Everthing But The Girl) und der ehemaligen Banshee-Drummerin Budgie eine der vielen hochkarätigen Gastsängerinnen auf Grants mittlerweile drittem Album ist. Musikalisch setzt "Grey Tickles, Black Pressure" Grants bisherige Entwicklung konsequent fort, die auf dem Vorgänger "Pale Green Ghosts" begann: Düstere, opulente Balladen treffen wieder auf dynamischen Elektro-Pop, Synthies, Beats und Gitarrenriffs. Allerdings klingt Grant dieses Mal deutlich rockiger und facettenreicher als noch auf seinem zweiten Album.

Dass John Grant trotz der zahlreichen ihm begegnenden Anfeindungen und Konfrontationen, die mit Liebe wenig zu tun haben, seinen Glauben an die Liebe nicht ganz verloren hat, zeigt das Stück "Disappointing". In diesem Song besingt Grant zunächst all die Dinge, die er so sehr liebt (Rollercoasters, Ocelot Babies, The genitive case in German etc.), nur um dann festzustellen, dass diese jedoch alle enttäuschend sind im Vergleich mit einem ihm wichtigen Menschen.

So sind bei all der Düsternis von "Grey Tickles, Black Pressure" am Ende doch auch noch ein wenig Hoffnung und Zuversicht zu spüren, und es bleibt John Grant zu wünschen, dass er vielleicht doch noch ein paar Erfahrungen in seinem Leben machen wird, die am Ende etwas mehr dem Hohelied der Liebe entsprechen.

Benjamin Schneider

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