Rezension

Joanna Newsom

Ys


Highlights: Cosmia
Genre: Mythen // Legenden // Sagen
Sounds Like: Joni Mitchell

VÖ: 10.11.2006

Ich weiß nicht was soll es bedeuten,
Dass ich so traurig bin;
Ein Märchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar;
Ihr goldnes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr goldenes Haar.

Sie kämmt es mit goldenem Kamme
Und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame,
Gewaltige Melodei.

Merkwürdig, diese Zeilen. Entstanden 1824, ewig vor Joanna selbst. Aber ihr Talent, das gab es schon, das schwirrte umher, bis es sich einen Säugling aussuchte, jahrhundertelang hin und her, von Baum zu Baum, Ast zu Ast. Spürbar nur für sensible Seelen, unsichtbar, lautlos, mitten im Wind. Und man bekommt den Eindruck, dass H. H. seine Lore-Ley an Newsom widmete. Oder widmete sich Joanna dem Gedicht? Wierum genau ist leider sehr schwer zu sagen. Eine wunderschöne Kalifornierin ausgerechnet, mit langen glatten Haaren, einem glatten Pony. Wie aus einer anderen Zeit, einer anderen Welt und einer Stimme, die allen Adjektiven und Beschreibungen eine Absage erteilt, die man so kennt.

Ihr zweites Werk nun. "Ys", eine uralte Welt ist das. Ähnlich wie Atlantis verschollen im Meer, sagenumwoben, voller Fragezeichen. Ob da wohl das Geschlecht der Sirenen herstammt? Man stellt es sich vor. Boote mit antiken Formen und prachtvollen Schriftzeichen auf den Segeln zerbersten unter so lieblichen aber doch gewaltigen Melodien wie denen in "Sawdust & Diamonds", soviel Schönheit ist schwer auszuhalten. Voll und ganz widmet man seine Aufmerksamkeit der bezaubernden Joanna, keine Musik für das Nebenbei, egal was man tut, man lässt es sein. Keine Sprache vermag soviel zu sagen wie die Musik, das ist keine Neuheit. Und deshalb wird die Welt in "Cosmia" auch ein ganzes Stück verständlicher und deutlicher. Die ganzen "Whys" verschwinden für einen Moment, vieles wird klar und deutlich.

Wundersam, dass solche Musik von herkömmlichen Instrumenten wie Harfen und Geigen gespielt wird. Kann profanen Alltagsgegenständen tatsächlich solcher Zauber entspringen? Oder wird nur deutlich, wie unvollkommen und verständnislos man selbst ist. Da denkt man, alles schon zu kennen und zu wissen, nimmt zeitgenössische Musik kaum noch ernst und dann soetwas. Produziert auch noch von einem ganz normalen Menschen namens Steve Albini. Seltsam, wirklich seltsam. Aus Fleisch und Blut ist der, wahrscheinlich genauso wie Joanna Newsom auch.

Überwältigende Momente, einer nach dem anderen. Unbeschreiblich nach knapp acht Minuten die kleine Explosion bei "Only Skin", genau wie viele andere Momente. Aber ganz egal wieviel hier geschrieben steht, dem Werk wird es sowieso nicht gerecht und so oder so hat H. H. es wesentlich besser getroffen. Ein Album, das wohl noch lange viele Rätsel aufgeben wird und ganz sicher unvergessen bleibt, soviel sei versprochen. Und gleichzeitig sei jedermann gewarnt. Man binde sich lieber an die Masten.

Konstantin Kasakov

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