Rezension
Jenny Hval
Blood Bitch
Highlights: Female Vampire // Untamed Region // Conceptual Romance
Genre: Konzeptkunst // Drone-Pop
Sounds Like: Kate Bush // PJ Harvey // Hanne Hukkelberg
VÖ: 30.09.2016
„What is this album about, Jenny?“ – „It´s about vampires!“, so ein Dialog in „The Great Undressing“. In der Tat, „Blood Bitch“ ist ein Konzeptalbum über „Female Vampire“, „Period Piece“, „Secret Touch“, „Untamed Region“, „Lorna“, „The Plague“ – um es in den Songtiteln des Albums zu beschreiben. Es handelt uralte Themen ab, wie den Glauben an Vampire, Hexerei, den Mondzyklus, die Kraft der Natur und die des weiblichen Körpers. Im Speziellen die Kraft eines besonderen Bluts: “the purest and most powerful, yet most trivial, and most terrifying blood: Menstruation. The white and red toilet roll chain which ties together the virgins, the whores, the mothers, the witches, the dreamers, and the lovers“, so Hval in einem Interview.
Verpackt in die Geschichte eines zeitreisenden, weiblichen Vampirs, die die letzten Jahrhunderte aufrollt, gleichzeitig aber auch sehr persönlich, sich mit dem eigenen Körper und dessen Wahrnehmung beschäftigend, kreiert Hval ein überaus intensives Album. „So this is my most fictional and most personal album“, sagt sie dazu. „Blood Bitch“ wirkt teils wie ein Hörspiel, wie eine Erzählung, rund um das Thema der weiblichen Regel, der Faszination darüber und gleichzeitig auch der körperlichen Belastung, die damit einher geht. „It hurts everywhere“ sind die einzigen Worte im Song „In The Red“. Er beginnt mit einem schweren, schnellen Atmen, das geloopt den Beat des Songs bestimmt. Darüber legen sich verschiedene andere Klangschichten, wie ein langgezogenes Schreien – und er endet abrupt, ebenfalls mit schwerem Atmen. Das Album erscheint wie eine Collage aus musikalischen Erinnerungen, Denkfetzen, Begebenheiten, die in unterschiedlicher Form und Verfassung zusammengetragen wurden.
Die Vielschichtigkeit der Songs, die sich zum Beispiel wunderbar in „Female Vampire“ zeigt, ist absolut überzeugend. Einerseits ein sehr eingängiger Song, andererseits ein aus vielen Lagen experimentell zusammen gelegter Klangkosmos, aus verschiedenen Stimmlagen, mehreren Rhythmen und sich verbindenden Melodien. In „Conceptual Romance“ klingt Hval in den Zwischenparts nach PJ Harvey, die mit Megaphoneffekt aus weiter Entfernung über Missstände aufdeckt, während liebliche Flötenklänge zu hören sind. In „The Plague“ sind erst afrikanische Trommelrhythmen, dann Satzfetzen und gelooptes Schluchzen mit viel Echo und Hall zu hören. „I don't know who I am!“, ruft Hval aus, bevor ein schmerzhaftes Schreien und Durcheinander zu hören sind.
Man hört das Kratzen eines Füllers auf Papier, „We live in a state of confusion and uncertainty“, sagt eine Stimme, die klingt, als würde sie aus dem Fernseher sprechen. Dann Hvals eigene Worte, die klingen wie auf einem Diktiergerät aufgenommen, noch mit verschlafenen Augen im warmen Bett liegend: „I'm in a big house, having big dreams // And next time I wake up // There's blood on the bed // Didn't know it was time yet // I dip my finger in it // Smells like, um, warm winter // I have big dreams // And blood powers // My own artistry // My combined failures“. „Untamed Region“ ist der intimste und persönlichste Song des Albums, der in seiner Direktheit entblößend wirkt.
„Blood Bitch“ ist insgesamt kein einfaches Album. Es fordert Aufmerksamkeit, Anstrengungsbereitschaft, den Willen zur Auseinandersetzung, aber auch die Chance, sich tiefgehend mit einer Thematik zu beschäftigen, die die Menschheit seit ewigen Zeiten fasziniert. Und nebenbei gibt es auch noch ein paar sehr gelungene Popsongs zwischen den Soundcollagen zu hören.
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