Rezension

Iron & Wine

Kiss Each Other Clean


Highlights: Godless Brother In Love // Big Burned Hand // Your Fake Name Is Good Enough For Me // Monkey's Uptown
Genre: Folk // Afrojazz
Sounds Like: Sufjan Stevens // Calexico // Grizzly Bear // Cake

VÖ: 21.01.2011

Schon das doppelseitige Cover vermag anzudeuten, dass dieses neue Werk des bärtigen, liebenswürdigen Kauzes Sam Beam aka Iron & Wine anders ist als seine Vorgänger, wie das zuletzt erschienene intime und schüchterne Schönheitsbündel "The Shepherd's Dog". Ein abstrahiertes lichterloh brennendes Haus, bunte, große Vögel in Wald und Wiese und vor all dem Sam Beam, der sich im Bach stehend in aller Ruhe und in voller Montur nasse Füße holt. "Kiss Each Other Clean" brennt verhältnismäßig nahezu imposant das Vorherige nieder, allerdings ohne an Vielfalt einzubüßen. Sam Beam schmeißt sich und seine Hörer ganz bewusst und in aller Ruhe ins kalte Wasser. Doch geht das gut?

Mal von vorne: In der zweiten Hälfte des letzten Jahres hat Beam in Chicago gemeinsam mit Brian Deck an der Platte gewerkelt. Und das Ergebnis ist, wie bereits angedacht, überraschend. Denn Beam scheint auf dem Weg zu "Kiss Each Other Clean" herumgekommen zu sein und hat dabei musikalische Zutaten eingesammelt: Zu dem schüchternen Folk der Einsamkeit und Abgeschiedenheit seines texanischen Außenseiterdaseins gesellen sich vor allem Elemente des Afrojazz und Blues. E-Gitarren werden für Iron-&-Wine-Verhältnisse inflationär gebraucht, und Songs wie "Monkey's Uptown" kommen sogar mit vibrierender Basstrommel daher. Kombiniert wird das Ganze zu bis ins letzte Detail ausgefeilten Arrangements, verschiedene Ebenen verschachteln sich, Bläsereinsätze verweben sich mit an den Afrobeat angelehnten Rhythmen. Schwierig, in dieser homogenen Vielfalt Songs hervorzuheben. Symptomatisch für den neuen Stil steht vor allem der finale Song, "Your Fake Name Is Good Enough For Me", ein Siebenminüter, der von anfänglicher Frickelei bis in den Blues ausufert.

Über all dem steht Sam Beams wundervolle Stimme, doch auch diese hat sich verändert. Sie hat an Selbstbewusstsein gewonnen, das Schüchterne, Schläfrige, Kuschelige, Intime aus Perlen wie "Sunset Soon Forgotten" taucht fast gar nicht mehr auf. Selbst der einzige zurückhaltende Song der Platte, "Godless Brother In Love", ist eindringlicher gesungen als er das noch vor drei Jahren gewesen wäre. Leider ist dieser Wandel des Gesangs ein kleines, aber essentielles Manko, denn die Songs von Iron & Wine möchte man von Sam Beam direkt ins Ohr und nicht selbstbewusst von einer Bühne gesungen bekommen. Man möchte das Gefühl haben, die Songs und die Texte ganz für sich allein zu haben.

So interessant auch die ganze Frickelei, Zappelei und Ausuferung sein mag, und welch bewundernswertes Talent Sam Beam auch haben mag, so objektiv großartig auch "Kiss Each Other Clean" wieder geworden sein mag – der Verlust der Intimität schmerzt. Wäre das Werk ein Debütalbum ohne Voraberwartungen, es wäre famoser als das, was es ist: Die neue "Iron & Wine". Und weil sie das ist, muss sie sich an ihren Vorgängern messen lassen, ein Vergleich, der ihr leider eher negativ als positiv in Rechnung gestellt wird.

Trotz allem: Hier steckt die Kreativität und der Genius eines Einzelnen, von denen sich eine ganze Menge komplette Bands einige Scheiben abschneiden können. Auch wenn "Kiss Each Other Clean" nicht ganz den erhofften Nerv trifft, ist es immernoch eine Wonne, dass es Musiker wie Sam Beam gibt.

Daniel Waldhuber

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