Rezension

HK119

Imaginature


Highlights: Wildgrass // Whale // Moss
Genre: experimenteller Pop
Sounds Like: Fever Ray // Björk // iamamiwhoami

VÖ: 22.03.2013

Die Nacht bricht ein über die endlosen Wälder Finnlands, seltsame Gestalten erwachen nun erst wirklich zum Leben, ihre Schritte wirbeln Staub auf. Die Stimmung ist unheimlich, aber auch schön, geborgen fühlt sich Heidi Kilpeläinen aka HK 119 hier draußen. Wer den Vogelstimmen einmal richtig zugehört hat, statt diese immer nur zu hören, weiß, was sie umtreibt. Der Wind heult, Schneetreiben setzt ein. Welches ist der schönste Ort, den du je gesehen hast? Komm, leg dich hier hin, der Schnee hält dich warm.

Seit dem letzten Album „Fast, Cheap And Out Of Control“ hat sich für die durch Heidi Kilpeläinen verkörperte Kunstfigur HK 119 einiges geändert. Scheinbar hat sie neue Prioritäten gefunden, der überstilisierte Future-Pop der frühen Arbeiten und das durch und durch trashig-Synthetische weichen auf dem beim Label One Little Indian erschienenen „Imaginature“ einer Öffnung zur Natur und zu den realen Dingen. Zwar waren auch die beiden früheren Alben als Satire auf Konsum und Technologie zu verstehen, schließlich ist auch der Bandname HK 119 selbst eine Parodie auf einen fiktiven Barcode, allerdings nähert sich Kilpeläinen ihrem Thema nun von der entgegengesetzten Seite. Wo bisher aus der Perspektive einer Kunst-Figur durch Überspitzung und Parodie Kritik an einer Kunst-Welt geübt wurde, werden nun Natur und Spiritualität einbezogen. So versteht die Künstlerin die von der Natur inspirierten Bilder und Geräusche, die ihren Weg auf „Imaginature“ gefunden haben, als körperliche Manifestation ihrer geistigen Reise zu einem gesünderen und glücklicheren Ort. Kilipiläinen stellt sich und den Zuhörern die Frage, „wie gesund dieser von der Natur entfremdete Lebensstil ist.“

Immer wieder werden Samples etwa von brummenden Insekten, Vögeln oder stapfenden Schritten im tiefen Schnee kombiniert mit synthetisch produzierten Klängen. Ständig ist der Kontrast von Natürlichem und Künstlichem präsent und keines der beiden kann die absolute Überhand gewinnen. So fängt der Opener „Wildgrass“ mit Geräuschen des Waldes und schamanischen Beschwörungsformeln an, dann gleitet der Song jedoch ab und ein technoides Pluckern drängt sich in den Vordergrund, bis schließlich der Gesang deutlich heller wird und stark an 80er-Jahre-Synthpop im Stile der Eurythmics erinnert. Brüche und Stilwechsel prägen das gesamte Album und einige der Songs können sich nicht entscheiden, ob sie nun lieber verstörend-düster-arty sein möchten oder doch eher eine mindestens ebenso verstörende Plastik-Pop-Persiflage.

Leichte Kost ist das freilich nicht, allerdings wird der Hörer, wenn er denn – so wie Kilipiläinen das erst selbst lernen musste – wirklich zuhört und nicht nur oberflächlich wahrnimmt, mit reichen Bildern und Geschichten, die irgendwo zwischen dem Schamanentum des brasilianischen Regenwaldes und dem nordischen Winter Finnlands entstanden, belohnt.

Christoph Herzog

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