Rezension

Harmonia & Eno '76

Tracks and Traces


Highlights: Weird Dream // Almost
Genre: Krautrock
Sounds Like: Sankt Otten // Brian Eno // Harmonia // The Sight Below // Kreidler

VÖ: 18.09.2009

Gelegentlich lohnt es sich, auf die Entstehung einer Platte näher einzugehen. Brian Eno und Harmonia (Michael Rother von Neu! und die beiden Cluster-Mitglieder Dieter Möbius und Hans-Joachim Roedelius) trafen 1974 in Hamburg aufeinander und fanden sich 1976 in der deutschen Provinz für Tonaufnahmen wieder zusammen. Diese landeten im Nirvana.

Erst Mitte der 1990er Jahre macht sich Roedelius an die Arbeit, Teile der Bänder, die ihm zugänglich waren, zu einem Album zusammenzusetzen. „Tracks & Traces“ erschien 1997. Die jetzige Veröffentlichung als „Tracks and Traces re-released“ beruht nun auf den neun Stücken dieser Platte und den musikalischen Ergänzungen, die Michael Rother mittels seiner Kopie der Aufnahmen von 1976 in den letzten Jahren produzierte. In welcher Form Brian Enos Original-Bänder noch einmal die Ohren des interessierten Publikums erreichen werden, bleibt unklar. Doch Harmonias Wahrnehmung ihrer 1976er Aufnahmesession dürfte hiermit weitgehend belegt sein.

Dem Titel entsprechend erscheint der 1997er Anteil der „Stücke & Spuren“, der „Spuren & Zeichen“, der „Fährten & Trassen“ als Mischung all solcher. Sowohl „When Shade Was Born“ als auch „Trace“ verbleiben fragmentarische Miniaturen, wobei die mangelnde Erweiterung von insbesondere „Trace“ äußerst bedauert werden darf.

Mit „Vamos Compañeros“ stürzt der Hörer unvermittelt, aber auf Schienen geführt in Roedelius Version hinein. Nervös fiepend und pluckernd wird er monoton hindurch getrieben, bevor „By The Riverside“ glückselig-meditativ übernimmt, bald aber ebenfalls auf eine eher düster-meditative Atmosphäre zurückfällt und am Ende dennoch wieder friedvoll strahlend erblüht. Das Dunkle bestimmt überhaupt Roedelius Sicht der Aufnahmen. Den schwärzesten Moment erlebt der Hörer sicher im beängstigenden „Weird Dream“, dessen Wirkung glücklicherweise durch den sanften Frohsinn von sich umschmeichelnder Gitarre und Piano in „Almost“ beschränkt wird. Diese Leichtigkeit schwingt in „Les Demoiselles“ leider fast in Übermut um.

Michael Rother fügt Roedelius Entwürfen eine Einleitung und einen Ausklang hinzu. „Aubade“ greift am Ende den sanften Frieden von „Almost“ auf und entlässt uns so in emotionaler Ruhe. Hier wie auch in der neuen Albumeröffnung geht Rother geradliniger und generell melodischer zu Werke als sein Kollege. Melodien durchziehen auch bereits „Demoiselles“ oder „Almost“, in den neuen Stücken aber geben sie offenkundiger Auskunft, lassen sich kontinuierlicher nachvollziehen. So leitet auch „Welcome“ sanft und direkt hinein in die Wiederveröffentlichung. Zart und lieblich werden wir hineingeleitet und in „Atmosphere“ von einem forsch voranschreitenden Rhythmus empfangen, der von einer Synthesizer-Melodie angeflirtet wird und von zusätzlichen vereinzelten Störklängen doch nicht aus dem Konzept gebracht werden kann. Das erledigt erst Roedelius mit „Vamos Compañeros“ im Anschluss.

Im Zentrum der „Tracks & Traces“ steht 2009 wie 1997 „Sometimes In Autumn“. Einzelne Gitarren-Töne und analoge Synthesizerflächen tanzen um und übereinander und schaffen eine eigene Welt aus Schall. Aus dieser bricht der Hörer auf in eine leere Weite, erreicht fast einen Zustand des Zen, aus dem er jedoch durch einzelne – in diesem Zustand fast aggressiv wirkende – Töne wieder hervorgeholt wird.

Ambiente Intensität und latente Beats bestimmen die möglicherweise letzten veröffentlichten Harmonia-Aufnahmen. So faszinierend und durchaus lohnend sie sind, so sehr bilden sie aber kein durchgängig reizvolles Album. Zudem erkennt der Hörer zumindest halb-bewusst die lange Entstehungszeit, die drei unterschiedlichen Epochen der Mittel, die genutzt werden konnten. Die 1976er Aufnahmen wurden 1997 nicht nur, wie Roedelius es formuliert, für Hörer außerhalb der Gruppe zumutbar gemacht, sondern, so scheint es zumindest, auch klangzeitlich angepasst. Gleiches lässt sich für die 2009er Tracks sagen. Sie erscheinen, als nähmen sie Trends auf und bezweckten eine Aktualisierung der eigenen Musik mit der Ästhetik ihrer Epigonen. Interessant zwischen Entspannung und Ängstigung ist „Tracks and Traces re-released“ dennoch.

Oliver Bothe

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