Rezension

Grizzly Bear

Painted Ruins


Highlights: Mourning Sound // Three Rings // Cut-Out // Neighbors
Genre: Indie-Rock // Psychedelic Folk
Sounds Like: Fleet Foxes // Radiohead // Beach Boys // Roxy Music

VÖ: 18.08.2017

Grizzly Bear verstehen sich schon lange nicht mehr als die Band von Gründer Ed Droste, sondern als demokratische Gruppe, auch wenn Droste weiterhin für die oft politisch motivierten Posts in den sozialen Netzwerken verantwortlich ist, in denen er sich an den Missständen der amerikanischen Gesellschaft aufreibt. So lieferte den Startschuss für die Produktion der neuen Platte diesmal auch Bassist und Multiinstrumentalist Chris Taylor mit der Einrichtung einer Dropbox als Sammelstelle für Ideen jeglicher Art. Das Resultat des mehrjährigen Prozesses ist „Painted Ruins“. Auch wenn die politische und soziale Realität in den USA einem Ed Droste in der jüngsten Vergangenheit viel Grund zur Aufregung bot, ist es ein unpolitisches Album.

Aber dafür eines, das im Vorfeld mit den größten Erwartungen versehen wurde. Nach der fünfjährigen Pause seit „Shields“ hätte die Messlatte bei Fans und Kritikern kaum höher hängen können. Eine gängige Methode, den direkten Vergleich mit sich selbst zu delegitimieren, wäre etwa eine musikalische Umorientierung oder ein Flirt mit fremden Genres gewesen. Doch Grizzly Bear folgen nicht dem allgemeinen Trend, Gitarren verstauben zu lassen und sich elektronischen Kompositionen zuzuwenden. Auf „Painted Ruins“ klingen Grizzly Bear ziemlich selbstsicher nach Grizzly Bear.

Zwar erfährt die Rhythmusarbeit um Drummer Christopher Bear und Chris Taylor eine etwas stärkere Betonung und flächige Synthesizer erhalten Einzug – am auffälligsten ist jedoch die Tatsache, dass ruhevolle Passagen, die zuvor im Kern der Kompositionen Grizzly Bears wirkten und die enorme Dynamik und Sogkraft einiger ihrer besten Stücke erklären, diesmal fast vollständig fehlen. Stattdessen ist „Painted Ruins“ klanglich opulent ausgestaltet – die vier Musiker müssen sich beim Schreiben der Songs wohl gegenseitig nur so mit Ideen überhäuft haben. Ihre ohnehin nur selten einfachen Kompositionen werden daher nun auch zu akustischen Herausforderungen und lassen sich in ihrer Gesamtheit erst nach mehrmaligem Hinhören erfassen.

Die erste Single „Three Rings“ entwindet sich erst nach und nach, um dann jedoch umso mehr einzuschlagen, wenn nach etwa dreieinhalb Minuten vorher eingeführte Melodiefäden mit immenser Wucht aufeinander treffen. Erwähnenswert außerdem das (nur hier) zurückhaltend gemischte, aber wie immer hervorragende Drumming Christopher Bears.

Inmitten der klanglichen Wucht mag man einzelne Tonspuren oder Passagen wiedererkennen, die die Band im Vorfeld zur Veröffentlichung ins Netz stellten. Neben geschickter PR wirken diese im Nachhinein nun vor allem als Orientierungspunkte und sind ein Zeugnis der Verspieltheit und Genauigkeit, mit der die Band sich den Details widmet. Bezeichnend, dass ein Wahnsinnspart wie die flirrenden Gitarren in „Four Cypresses“ nur als Bridge verfeuert wird.

Die zweite Singleauskopplung „Mourning Sound“ zielt dorthin, wo frühere Hits wie „Two Weeks“ oder „Yet Again“ schon einmal zündeten. Ohne deren melodiöse Strahlkraft ganz zu erreichen, glänzt der Song durch das hervorragende Zusammenspiel von Droste und Gitarrist Daniel Rossen, die sich beide von ihrer gesanglich stärksten Seite zeigen: eine eingängige Popmelodie, komponiert und produziert in einer Differenziertheit und Vielschichtigkeit, wie es eben nur Grizzly Bear können. Eine ähnliche zuckersüße Melodie zeigt sich in dem schönen „Cut-Out“, das dem altbekannten Sound ihres Erfolgsalbums „Veckatimest“ Nahe kommt.

Szenenapplaus verdient außerdem immer wieder Daniel Rossens grandioser Gitarrensound – changierend zwischen zart-verspielt und angezerrt-aufbrausend oder in „Neighbors“ oder „Sky Took Hold“ gar im schreienden Western-Movie-Anstrich. Exzentrischen Art-Rock liefert die Band mit „Losing All Sense“ oder „Glass Hillside“. Auf „Systole“ übernimmt Chris Taylor, der sonst an vielen Stellen für die subtile und atmosphärische Untermalung zuständig ist, zum ersten Mal den Hauptgesang. Ausgerechnet am Ende des etwas ungestüm lospolternden „Aquarian“ nehmen Grizzly Bear spürbar Druck raus, spielen einfach nur noch und schaffen so einen intimen Moment des Albums.

„Painted Ruins“ wirkt zunächst wie ein schwer verdaulicher Brocken. Doch wie singt Rossen noch in „Four Cypresses“? „It is chaos, but it works“.

Jonatan Biskamp

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Video zu "Neighbors"
Video zu "Mourning Sound"
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