Rezension

Gravenhurst

Fires In Distant Buildings


Highlights: Velvet Cell // Nicole // Cities Beneath The Sea // Song From Under The Arches
Genre: Art-Wave // Prog-Noise // Singer/Songwriter
Sounds Like: My Bloody Valentine // Low // The Cooper Temple Clause

VÖ: 21.10.2005

Schon einmal ein Grab von innen gesehen? Von oben höchstens? Und von unten? Nein? Hol dir diese Platte. Man könnte jetzt meinen, man hätte es hier mit Düstermetal zu tun oder sowas, aber nicht doch. Auch ich habe beim Namen zuerst in eine andere Richtung gedacht, aber ich sollte mich irren. Mit Härte hat das hier nicht viel zu tun. Zumindest nicht in dem Sinne. Aber irgendwie auch schon. Aber immer der Reihe nach.

Gravenhurst, das ist ein dreiköpfiges one-man-project um Nick Talbot. Ein Mann, der so klingt, wie Luzifer zu Engelszeiten. Und die Texte sind nicht minder doppelschneidig. So in „Velvet Cell“: „to understand the killer/ I must become the killer/ and I don’t need this violence anymore/ but now I’ve tasted hatred I want more“. Das liest sich ziemlich angepisst. Die Mannen scheinen allen Grund dazu zu haben. Ein weit entferntes Haus brennt, und Nick Talbot sitzt mittendrin, keiner hört ihn schreien. Wieso auch. Solange solche Songs entstehen?

Diese Musik aus Bristol will aber nicht nur jammern. Das Leben hat auch seine guten Seiten. Jedenfalls bei den anderen. Talbot ist der Zyniker, der schon längst aufgegeben hat zu kämpfen, mittlerweile beobachtet er nur. Und so findet er auch die nötige Zeit, so wunderschöne Melodien hinzukriegen wie bei „Nicole“. Echte Liebe, das hört man. Mehr als eine kaum berührte Snare, Talbot's Finger und eine Gitarre braucht dieser Song nicht, bis ihn ein Klavier anfängt zu streicheln. Das hier ist ein Anwärter auf die Ballade des Jahres, echtes Gefühl, kein Schnickschnack und Nicole sieht das wohl auch so. Wenn sie es denn je hören sollte.

Danach wieder die aufbäumende Flamme in Talbot's Brust, in der sowieso zwei Seelen wohnen. In „Velvet Cell Reprise“ fokussiert er nochmal seine ganze Widerstandskraft, will die Kälte, die Dunkelheit und das Schweigen nicht einfach so hinnehmen. Vom Sound erinnert das an Joy Division, die viel Musik aus dem neuen Jahrtausend gehört haben. Dann Endlosschleife. Die ganze Anstrengung bringt ja doch nichts, also zurück in den Schatten.

Wir bekommen mit „Cities Beneath the Sea“ noch eine Ballade spendiert. „I live on both sides of the mirror“. Das glaubt man ihm sofort. Ein Pendler zwischem dem Reich der Illusion und der eiskalten Realität. Vorgetragen im düsteren Moll. Ohne Gnade. Wie kann ein einzelner Mittzwanziger nur so niedergeschlagen sein? Dasselbe hat sich Talbot wohl auch gefragt und so präsentiert er uns mit den vorletzten Track einen Titanen aus Riff und Melodie, abwechselnd in Metalformation und mit leiser Gitarre vorgetragen. Wenn es nicht auf die sanfte Tour geht, dann eben mit Gewalt.

Zum Abschluss der leider, leider unversöhnliche letzte Song. Dieser erinnert eher an eine 70er Jahre Hippie-Hexenmesse, als an das gesamte vorhergehende Konzept des Albums. Langsam pushen sich die Instrumente wie auf LSD hoch und die Gitarre wimmert irgendwas vom Orient. Schade, die hier hätte ein echter Markstein dieses Jahrzehnts werden können. Aber was soll's. Talbot hat es längst schon erkannt, was da klar wird. Froschschenkel schmaust man selten. Meistens schluckt man einfach nur Kröten. Es ist angerichtet.

Konstantin Kasakov

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