Rezension

Giovanni Sollima

We Were Trees


Highlights: Resonance Wood // Tree Raga Song // Violoncellos, Vibrez!
Genre: Klassik
Sounds Like: Mozart // Patti Smith // Vivaldi

VÖ: 18.07.2008

Das Cello. Unter den Streichinstrumenten ist es sicherlich jenes, das am gelingendsten nicht nur unterhaltende U- und ernste E-Musik verbinden kann – die Beispiele sind zahlreich –, sondern das weiter den größten Bogen von zärtlich-sanft bis aufbrausend-wild in kürzester Folge und überzeugendst transportiert. Ein Virtuose des Cellos – Giovanni Sollima – schlägt den bösen E-zu-U-Bogen mit seinem Album „We Were Trees“ nicht nur deshalb gelungen, weil Patti Smith mitwirkt.

Auf „We Were Trees“ spielt Sollima zusammen mit dem Berliner Solistenensemble Kaleidoskop und Monika Leskovar ausschließlich Eigenkompositionen bzw. lässt den selbst geschriebenen „Tree Raga Song“ von Leskovar interpretieren. Um die zwei großen Kompositionen „L. B. Files“ und „When We Were Trees“ platziert er das aufbrechende, grandiose, begeisternde, mitreißende und einfach nur umwerfende „Violoncellos, Vibrez!“ zu Beginn, das als Definition des Albums gelten mag, die Kooperation mit Patti Smith „Yet Can I Hear“, die sich als melancholische Spoken-Word-Performance ganz auf die sakrale Intensität von Smiths Stimme konzentriert, sowie erwähnten „Tree Raga Song“, der reduziert, betont auf Pausen setzend, das Cello sowohl perkussiv als auch klassisch, wie poppig erklingen lässt. So steht er mit 14 Minuten auch im Zentrum des Albums und gibt sich mal minimal modern swingend und mal mediterran-romantisch – im Sinne der kulturgeschichtlichen Epoche. Allein das Hauptmotiv dieses Stücks ist tatsächlich zum Sterben schön.

Sollima, Leskovar und das Berliner Kaleidoskop präsentieren eine perfekte Mischung aus Ruhe und Energie, Sanftheit und musikalischem Jähzorn. Sollimas Kompositionen schlagen spielerisch den Bogen von mozartischer Klassik über Folklore zu Expressionismus und verbeugen sich vor Inspirationen wie Philipp Glass, Rossini oder Piazzolla, ohne nachzuahmen, sondern immer eigen und Neues schaffend. Im „Concerto“ genannten ersten Teil der „L. B. Files“ klingen Instrumente und Melodien nahezu wie lebende, beseelte Wesen, um im nächsten Moment knarzendes altes Gebälk zu imitieren. Doch zuvorderst fühlt der Schreiber sich hier von lebenden Wesen becirct. Der „Fandango del Signor Bouqueriny“ folgt mit Lyrik von Casanova unterlegt als barocke Theatermusik. Anschließend treiben in „Boccherinero“ nordafrikanisch-erdige Inspirationen das Cello an und führen es hin zu italienischer wie österreichischer Opernhaftigkeit. Einmal quer durch Mozarts Ideen transportiert Sollima diese in das 21. Jahrhundert.

„When We Were Trees“ widmet sich ganz dem Ursprung des Instruments und betört. Der Wald der Violinen, die Resonanz-, die Klangfähigkeit des Holzes, seine Verarbeitung in der mechanischen Konstruktion des Instruments werden sanft, liebevoll und doch jedes Brechen, Sägen und Fällen erwähnend vertont. Musikalische Ansichtskarten von eskapistischen Imaginationseskapaden finden sich ebenso wie Reisen durch die Abstammung der Klänge.

Klassische Klänge werden popmusikalisch gern wahrgenommen, am liebsten in Form von leicht verdaulicher film-musikalischer Leichtigkeit oder expressiver Avantgarde. Sollimas „We Were Trees“ ist weder noch und beides. Es gibt belohnende, klangvielfältige Unterhaltung ohne zu langweilen oder zu überanstrengen und endet in einer wunderbaren Eskalation der Saiten.

Oliver Bothe

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