Rezension

Get Well Soon

Vexations


Highlights: Seneca's Silence // Red Nose Day // A Voice In The Louvre // Angry Young Man
Genre: Avantgarde-Pop
Sounds Like: Beirut // Doves // The Divine Comedy // Arcade Fire // Calexico // Slut

VÖ: 22.01.2010

Im Musikgeschäft gibt es immer wieder „erste Male“, also Dinge, die vorher noch nicht da waren. So beispielsweise ein Konzeptalbum über Stoiker, beziehungsweise den Stoizismus im Allgemeinen: Eine philosophische Bewegung, die propagiert(e), sich nicht an Dingen festzuhalten, sondern alle Ereignisse und Schicksalsschläge möglichst emotionslos hinzunehmen. Konstantin Gropper alias Get Well Soon, der vor exakt zwei Jahren mit seinem Debüt „Rest Now, Weary Head! You Will Get Well Soon“ zu Recht internationales Aufsehen erregte, hat nun als Zweitwerk solch ein Album aufgenommen. Eine philosophische Strömung zum zentralen Thema eines, im weitesten Sinne, Pop-Albums zu machen, mag zunächst weit hergeholt erscheinen, ist jedoch in Groppers Fall im Prinzip nichts anderes, als wie viele andere Songwriter auch über Fragestellungen des Alltags zu sinnieren. Manche beschäftigen sich eben mit profaneren Dingen, andere mit Philosophie (und studieren das Ganze im besten Falle auch direkt noch). „Vexations“ – zu Deutsch „Ärgernisse“ –, die genau als solche den klassischen Stoiker ja eigentlich nicht zu tangieren haben, hat Gropper sein neues Werk genannt: Nebenbei ist so auch ein repetitives Klavierstück von Eric Satie betitelt, das Gropper in den Opener „Nausea“ eingewoben hat. 

Um Seneca, einen Philosophen des alten Roms und einen der bekanntesten Stoiker, dreht sich „Seneca’s Silence“, ein aufwändig instrumentierter, dennoch relativ geradliniger und nicht überladen wirkender Popsong. Gropper hat für „Vexations“ noch mehr Instrumente mit an Bord genommen als beim Vorgänger und sich für die Aufnahmen auch andere Musiker zur Unterstützung herangezogen. Vibraphon und Marimbaphon lassen die Strophe von „Seneca’s Silence“ verspielt und federleicht erscheinen, während der Refrain durch breiten Streichereinsatz hierzu die Antithese aus Schwermut und Pathos verkörpert. Der einzige Song, dessen Titel so gar nicht in das philosophische Umfeld passen will, ist „Red Nose Day“. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, bekommt ein wunderschönes, verträumtes musikalisches Kleinod zu hören, in dem Konstantin Gropper beweist, dass seine Stimme auch in höheren Tonlagen heimisch ist, während er in den meisten anderen Stücken eher sonore, tiefe Töne anschlägt, die an eine Mischung zwischen Matt Berninger (The National) und Zach Condon (Beirut) erinnern. „A Voice in the Louvre“ wäre in der Tat auch auf einem Beirut-Album wunderbar zur Geltung gekommen. 

Als stoisch (also gelassen und wenig emotional), um beim Thema des Albums zu bleiben, könnte man Konstantin Groppers Art zu singen durchaus bezeichnen. Ruhigen Songs wie „That Love“, die die Instrumentalbegleitung auf ein Minimum reduzieren und die Vocals in den Vordergrund stellen, kommt das aber leider nicht zu Gute, sofern man die Platte nicht gerade zum Einschlafen hört. Dominiert wird „Vexations“ aber glücklicherweise von opulent arrangierten, vielschichtigen Stücken, die auch die eine oder andere hölzerne Stelle in den Lyrics gekonnt überdecken - so wie „5 Steps, 7 Swords“, von einer Wand aus Blechbläsern getragen, oder „Angry Young Man“, das ruhig beginnt, daraufhin einen beachtlichen Steigerungslauf hinlegt, um den Spannungsbogen schlussendlich abrupt wieder loszulassen. Gefolgt nur noch von „We Are The Roman Empire“, das lautmalerisch in verschwommenen Erinnerungen schwelgt. “Vexations“ ist ein überzeugendes Gesamtwerk geworden, das sein Konzept vom Anfang bis zum Ende eisern durchzieht. Moderne Stoa sozusagen. Damit würde sich mit Sicherheit auch der Regisseur Werner Herzog identifizieren, dem ebenfalls ein Song auf "Vexations" gewidmet wird. Während eines BBC-Interviews angeschossen, blieb er trotzdem sitzen und sprach unbeirrt weiter. Dass sich das Album auf emotionaler Ebene bisweilen ähnlich zurückhält, könnte jedoch ein gewisses Polarisationspotential bergen. Schließlich ist die Reaktion der Hörerschaft in gewissem Maße immer auch ein Spiegelbild der Signale, die die Musik an die Ohren aussendet.

Johannes Neuhauser

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