Rezension

Gang Of Four

Content


Highlights: You Don't Have To Be Mad // I Party All The Time
Genre: Post-Punk // Indie-Rock
Sounds Like: Radio4 // The Fall // Bloc Party // Franz Ferdinand

VÖ: 28.01.2011

Gang Of Four – das ist die Band, von der in der Indie-Musik der 00er Jahre – abgesehen von den Beatles vielleicht – wahrscheinlich am häufigsten die Rede war. Bands wie Franz Ferdinand, TV On The Radio, Bloc Party, Radio4 oder aber auch die Red Hot Chili Peppers wären ohne den Einfluss der britischen Band nicht denkbar.

Die Ironie dieser Geschichte will es jedoch, dass Jon King und Andy Gill seit 1984 ihr Geld als Unternehmensberater und Musikproduzenten verdienten. Die Band selbst hat den Musikern kaum Geld eingebracht und war – abgesehen von vereinzelten Aufritten – tot. Zwar gab es 1991 und 1995 mit „Shrinkwrapped“ und „Mall“ noch zwei weitere Studioalben, doch auch das ist mittlerweile 16 Jahre her. Und jetzt – während die Euphorie-Welle, die ihre einstige Band so überspülte, abebbt – sind sie wieder da.

„Content“ ist eine Platte, die schon mit dem Titel wieder alle Gesellschaftskritik neu entflammen lässt und deren Titel die logische Brücke zum Debüt-Meisterwerk „Entertainment!“ schlägt. War es damals die hohle Unterhaltung, die jeden Anspruch auf Kunst in der Popmusik zerstörte, ist es im digitalen Zeitalter der sogenannte „Content“, der eine Worthülse für all das ist, was die kapitalistische Marketingmaschine an Kunst interessiert: das reine Ergebnis, losgelöst von seinen Einflüssen, seinem Entstehungsprozess oder schmückendem Beiwerk wie Artwork.

Und als würden der Titel und die geschlagene Brücke zurück in das Jahr 1979 und die eigene Vergangenheit nicht reichen, ließen Gill und King den Entstehungsprozess schon zu einem Teil des Anti-Konzeptes werden. Fans konnten über das Portal pledgemusic.com Zuschüsse für die Produktion des Albums hinterlassen und alle nicht verwendeten finanziellen Mittel wurden von der Band für einen guten Zweck gespendet. Als Dankeschön bekamen die Fans ein Merchandise-Paket, das neben diversen Fan-Devotionalien vor allem kleine Ampullen mit dem Blut der Musiker enthielt. Mit der ziemlich krassen 1:1 übersetzten Symbolik des Herzbluts, das in der Kunst steckt – im Gegensatz zum bloßen, marketingtechnisch messbaren Content – schließt sich der thematische Kreis.

Und mit Gegensätzen geht es dann auch musikalisch ganz gut zur Sache. Dass die Jungs aus Leeds schon damals mit stechenden Gitarren-Riffs, funky Bass-Lines und Up-Tempo-Beats den Punk auf den Dance-Floor gebracht haben, ist bekannt. Dass Text und Musik dabei oft diametral auseinanderdrifteten, auch. Doch was auf "Content" passiert, geht noch ein Stück darüber hinaus: durchweg Happy-Party-Melodien für den mit angetrunkenen Indie-Hasen gefüllten Dance-Floor am Freitagabend treffen auf ungeschönte Sozialkritik der Marke King und Gill. Die Riffs beißen sich fest in die Gehörgänge und lassen so schnell nicht mehr los. Nur wer sich auf den Text besinnt, den Kontext der Platte und ihre Entstehungsgeschichte, sowie die Vergangenheit der Band mit in Betracht zieht, wird hinter die oberflächliche Tiefenlosigkeit von „Content“ blicken.

Dennoch: auch oder gerade eine Band, die seit 16 Jahren nicht mehr im Business ist, einen so unfassbaren Meilenstein wie „Entertainment!“ eingespielt hat und als Inspirationsquelle so vieler zeitgenössischer Bands gilt, muss sich an den eigenen und von fremden auferlegten Maßstäben messen lassen. Und daran krankt „Content“. Der LoFi-Post-Punk mit seinen knackigen, trockenen Bass-Lines und seinen dreckigen Gitarren-Riffs ist einer stellenweise („She Said ‘You Made A Thing Of Me‘“) auf Hochglanz produzierten Rockmusik gewichen. Schön zu sehen zwar, dass sich Gill und King Gedanken über die Popmusik dieser Tage machen, sie adaptieren, umwälzen und im Gesamt-Konzept ad absurdum führen. All das macht aus einer musikalisch durchschnittlichen Platte (mit Ausnahmen!) aber eben keinen weiteren Meilenstein.

Andreas Peters

Finden


Bye-Bye



Am 5. Januar 2021 haben wir éclat eingestellt. Mehr Infos hierzu gibt es auf unserer Startseite!