Rezension

Escapado

Initiale


Highlights: Coldblackdeathbloodmurderhatemachine // Verbindung // Initiale // Solang Du Weisst
Genre: New School Hardcore
Sounds Like: Thursday // Poison The Well

VÖ: 28.09.2007

"Deine Stimme zerschneidet das letzte Vertrauen. Deine Hand wird zur Faust". Du spürst, wie ein Rauschen in dir aufsteigt. Schweiß. Adrenalin durchzuckt dich. Du drückst so fest zu, dass deine Hand schmerzt. Du fühlst deinen Herzschlag rasen. Wut. Dann wieder das Rauschen. Es wird weiß und nimmt Dir langsam die Sicht. Plötzlich steht alles still und du weißt, dass es jetzt soweit ist: Alles muss raus. Einquetscht in den pfahlartigen Zahnrädern der „Coldblackdeathbloodmurderhatemachine“ folgt dem beschriebenen Moment das Unabdingbare, das einzig Konsequente: Ein ungebremster Ausbruch heftigster Güteklasse. Zehn Saiten schlagen in Rage um sich, die Drums stimmen mit ein, die Stimme schreit. Schreit voller Wut, schreit mit aller Kraft, zu der sie fähig ist. Dann wird sie wieder klarer. "Sie werden alle gehen" warnt sie. Oder warnt sie gar nicht? Hofft sie es? Fürchtet sie es?

Wir sind zu diesem Zeitpunkt bereits mittendrin in einem der aufwühlendsten und intensivsten Alben des Jahres. Vier Jungs aus Flensburg haben es kreiert und im Grand Hotel Van Cleef erstmal in die gerade eröffnete Hardcore-Suite eingecheckt. Dort spricht man vorwiegend Deutsch und mit deutschen Lyrics ist es ja so eine Sache: Vielen zu schroff, werden deutschsprachige Texte überdies ob ihrer Direktheit oft peinlich genau von der Hörerschaft zerpflückt. Nun der Coup: Escapado machen sich genau das zu Nutze. Sänger Helge Jensens Texte über Passivität, Ziellosigkeit und Isolation sind brutal ehrlich, direkt und ungeheuer nah am Hörer, dass sie schmerzen wie eine Nadel unterm Fingernagel.

Hierfür exemplarisch ist das brilliant betitelte „Verbindung“: "Ich trenne die Verbindung. Wünschst Du sie Dir zurück?" Und später: "Die Worte aus deinem Mund ergeben keinen Sinn mehr für mich. Nein, Du kennst mich nicht". Wenn Jansen dann in „7:58“, das mit seinem einer Gewaltorgie gleichenden Beginn gar an Converge erinnert, brüllt: " „Wo liegt das Problem? Ich muss lachen. Welches Problem? Und ich lache bis ich kotze." geht das nicht nur jedermann etwas an, sondern einfach direkt unter die Haut. Oder auch die Schlüsselzeile des Titeltracks, die übergroß im Booklet thront: "Der Moment, auf den Du wartest, wird ganz allein von Dir selbst bestimmt". Wow. Hier hat jemand mehr Lebenserfahrung als er eigentlich haben sollte. Derartig markant-präzise Zeilen ziehen sich durch das ganze Album. Die Sprache ist einfach, sie will verstanden werden und soll uns gefälligst treffen. Passt also, dass Jensen sie mit einer Inbrunst herausschreit, die stark an Jeffrey Moreira von Poison The Well erinnert und selbst der Genre-Größe in nichts nachtseht.

Zwischen denen und Thursday liegt auch in etwa Escapados Sound, mit Letzteren teilen sie insbesondere die wilden und unberechenbaren Arrangements, die zu spielen schon einiges an technischer Raffinesse voraussetzt. A mords Gaudi, wie von Gitarrist Sebastian Henkelmann hier zwischen riesigen Gitarrenwänden, At-The-Drive-In-Riffs und atmosphärisch-hypnotischer Melodieführung geschaltet wird, Taktwechsel inbegriffen. So sind Refrains und eingängige Songstrukturen eher die Ausnahme, lediglich das schon erwähnte „Verbindung“ funktioniert auf diese Weise – und ist damit auf dieser mit einem entsprechend hohen Langzeitwert gesegneten Platte paradoxerweise wirklich herausstechend.

Im panisch-dramatischen, ebenfalls perfekt benannten „Geschient“ und im tieftraurig-blauen „Solang Du Weisst“ winden sich die Songs dann um den Gesang, die Härte macht einen Knicks und weicht mit Freude der nicht minder intensiven Gesangsstimme – und auch das gelingt auf „Initiale“. Die letzten Worte dieser Ausnahmeplatte lauten dann: "Halt Dich fest". Woran? An der weißen Möwe mit leicht ölverschmiertem Flügel, die sich inmitten grauer Tristesse auf dem Cover mit Blick in die Zukunft erhebt. Ihr Name: E.

Gordon Barnard

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