Rezension

Egotronic

Egotronic, C'est Moi!


Highlights: Toleranz // Die Partei hat immer recht // Pilze
Genre: Deutschpunk // Elektropunk
Sounds Like: Frittenbude // Saalschutz

VÖ: 17.04.2015

Unter den Musikstilen war der deutsche Punk Ende der 90er-Jahre endgültig in einer Sackgasse angelangt. Die Ärzte und Die Toten Hosen hatten sich in Richtung Charts verabschiedet und taugten nicht mehr als Wortführer für versprengte rebellische Jugendliche. Wizo und Terrorgruppe propagierten in der zweiten Reihe nur noch den Hedonismus, bevor sie sich auflösten. Torsun Burkhardt und andere Punks hatten vielleicht schon so eine Ahnung, dass die Musik von links einen neuen Anstrich brauchte, bevor die Einführung des Dosenpfandes 2003 einer ganzen Jugendbewegung endgültig ihre Existenzgrundlage wegnehmen würde.

Tatsächlich brachten die Synthies von Burkhardts Projekt Egotronic frischen Wind in das Musikgeschäft. Mit den tanzbaren Sounds zwischen Eskapismus und linker Agitation trafen sie den Nerv einer in die Technokratie geborenen Jugend und fanden schließlich bei Audiolith einen Heimathafen. Den Höhepunkt erreichte das Ganze mit der Egotronic-Hymne „Raven gegen Deutschland“ 2007. Kaum ein Festival, das die Jungs in den nachfolgenden Sommern nicht besuchten, kaum ein öffentliches Verkehrsmittel, in dem nicht irgendwer mit Sonnenbrille und Audiolith-Jutebeutel saß.

Und heute? Da heißt es „Alles auf Anfang“. Egotronic haben ihren Sound einmal mehr auf links gedreht und die Gitarren aus dem Schrank geholt. Einen Teil der bandtypischen Synthies hat Burkhardt raugeschmissen. Das kann kaum verwundern. Den 8-Bit-Samples und Synthie-Loops, die den Signature Sound von Egotronic ausmachen, war in den 80er-Jahren ja schließlich auch keine längere Halbwertszeit beschieden. Was auf der Bühne schon seit einiger Zeit zu hören ist, gibt’s nun auch in CD-Form. „Egotronic, C'est Moi!“ nennt sich die 2015er-Scheibe, die zwölf bereits bekannte Songs der Bandgeschichte in anderem Klanggewand präsentiert.

Nach eigener Aussage, nachzulesen im recht informativen Booklet (übrigens komplett auf Englisch verfasst), würde sich Burkhardt nie selbst ein Best-of-Album kaufen. Tatsächlich ist „Egotronic, C'est Moi!“ auch nicht als solches zu verstehen. Zu unterschiedlich klingen Original und Adaption. Die Neuauflage ist eine merkwürdige Liaison aus Deutschpunk von vor 20 Jahren und übrig gebliebenen Elektro-Eskapaden. Vor allem wird nun deutlich, wie substanzlos einiges aus dem Repertoire ist. War beispielsweise „Maybe Someday“ im Original zumindest schrill und überladen, ist es nun einfach ein x-beliebiger Schrammeltrack. Die Appelle verpuffen, vielleicht auch, weil den Auftakt des Albums gerade die Songs bilden, die am wenigsten politisches Potential haben.

Angesichts der Frage, was nun weniger veraltet klingt – Egotronics Elektro oder der gitarrenlastige Deutschpunk –, wirken die meisten Adaptionen schal und bisslos. Man muss es im Jahr 2015 wohl so sagen: Auch Egotronic sind in einer Sackgasse angelangt.

Mischa Karth

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