Rezension

Disappears

Era


Highlights: Ultra // Weird House // Elite Typical
Genre: Post-Punk // Indie-Rock // Experimental // Dance-Punk
Sounds Like: Weekend // The Faint // The Birthday Party // Sonic Youth

VÖ: 23.08.2013

Es kommt die Frage auf, ob nicht auch Musik den Launen der Mode unterworfen ist wie der Laufsteg Mailands den wiederkehrenden Trends aus verschiedenen Jahrzehnten, die in regelmäßigen Abständen, begleitet von vielen Fragezeichen, an einem vorbeiziehen, wenn einem eine Band wie das Chicagoer Quartett der Disappears begegnet. In schwermütiger Schwärze getränkter Gothic wäre sicherlich nicht zum ersten Mal als kleinster gemeinsamer Nenner für Post-Punk bis Dark-Wave zu bezeichnen. Die Erkenntnis, dass der lange Arm von The Cure oder Bauhaus bis in unsere Tage hineinreicht, hat ebensowenig Neuigkeitscharakter. Der Anpassungsprozess, mit dem man sich an die Regelmäßigkeit solcher Neuauflagen gewöhnt, scheint jedenfalls weit fortgeschritten und allzu oft verschwindet eine Band wie die Dissapears dann schnell in der Schublade.

Zwar hat Steve Shelley, einst ehrwürdiger Drummer bei Sonic Youth, sein kurzes, einjähriges Gastspiel bei der Band inzwischen beendet, aber es zeigt, wo und wie die Band aus Chicago einzuschätzen ist: Eine Band, die dem vordergründigen Post-Punk gerne Experimentelles entgegensetzt, die aus der heutzutage vielfach zu beobachtenden Eindimensionalität auszubrechen versucht und das auch konsequent macht. Die Palette ist reichlich groß und reicht von Free-Jazz bis Kraut-Rock. Gleichzeitig geht „Era“ im Vergleich zu seinen Vorgängern einen Schritt weiter und öffnet sich bei aller Schwerfälligkeit einer dance-punkigen Richtung, die, wenn sie aufkeimt, zum absoluten Highlight der Platte avanciert. „Weird Era“ und „Elite Typical“, die beiden offensichtlichsten Songs mit ebendieser Eigenschaft, überragen den Rest des Albums derart, dass man sich mehr davon wünscht und gleichzeitig muss man sagen, dass dies einer von sehr selten gesehenen Versuchen ist, einer wahrscheinlich seit The Faint totgesagten Gangart neues Leben einzuhauchen, und das dann tatsächlich gelingt. Das allein war es aber nicht, sondern das Album überrascht mit weiteren Facetten.

Tatsächlich liegt eine Schwierigkeit darin, „Era“ mit genre-typischem Denken einzuordnen. Kalter elektronischer Minimalismus verschmilzt mit noisigem Rock'n'Roll, während Brian Cases verzerrter Gesang die Songs nicht bloß begleitet, sondern eher instrumentiert. Erkennbar bleibt allerdings das Aggressive, Bösartige und Gefährliche seiner Stimme, die womöglich der Tradition von Waits folgt. Es geht bei den Songs um das Entstellte und das Abstrakte, nicht das wirklich Schöne, wobei diese Abstraktion durch einen halbwegs klaren rhythmischen Rahmen abgemildert wird und der Song als solcher erhalten bleibt. Das wiederum ist sowohl Fluch als auch Segen: Die Songs sind durchweg hörbar, aber wenn die Disappears konsequent gewesen wären, hätten sie durchaus die Rhythmik und Dynamik der Songs noch abgefahrener gestalten können.

Die insgesamt sieben sehr unterschiedlichen Stücke beziehen sich nicht auf eine bestimmte „Era“, sondern scheinen aus der Zeit gefallen, scheinen sich ebenso an der Vergangenheit wie an Künftigem zu orientieren. Dass das Ergebnis in klassischer Bandbesetzung mit zwei Gitarren entstanden ist, scheint umso verwunderlicher, während die Produktion seitens John Congleton (The Black Angels, The Thermals) in Steve Albinis Studio in Chicago höchste Achtung verdient.

Achim Schlachter

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