Rezension

Destroyer

Poison Season


Highlights: Dream Lover // Forces From Above // Times Square // Midnight Meet In The Rain
Genre: Dreampop // Soul // Swing // Rock
Sounds Like: Broken Social Scene // Frank Sinatra // Bruce Springsteen // Roxy Music

VÖ: 28.08.2015

Das Album nach dem Meisterwerk ist oft eine schwierige Platte. „Kaputt“ war 2011 eine der Platten des Jahres. Es ist ein Album, das mit seinem offenen, dahinschwebenden Klang vielen Hörenden ermöglichte, ihre Sehnsüchte und Träume in die Musik zu projizieren und so inspirierte. Dazu, einen solch perfekten musikalischen Moment zu erschaffen, gehören viele Faktoren, die keineswegs erzwungen werden können. Und der Erfolg der Platte führte den bereits über vierzig Jahre alten Dan Bejar auf einmal an Orte, an die er nach eigener Aussage nicht gehörte, wie etwa das riesige Coachella-Festival. Doch „Kaputt“ war schon die neunte Platte als Destroyer, und Bejar hat als großartiger Songwriter über die Jahre einige Visionen angesammelt. Eine dieser Visionen konnte dank des Erfolgs von „Kaputt“ verwirklicht werden, und sie heißt „Poison Season“. Diese Platte ist also nicht die schwierige nach dem Meisterwerk, sie wurde durch „Kaputt“ erst ermöglicht.

Bejars Traum seit vielen Jahren war es, eine Platte mit vollen Streicher-Arrangements aufzunehmen, „das volle Programm“. So ist aus „Poison Season“ eine einzige, in sich schlüssige Revue geworden. Man stellt sich vor, wie die Platte in einem schicken Theater aufgeführt wird, mit Bejar als Gentleman, der durch den Abend führt. Nicht selten erinnert das Album an Frank Sinatra. Passend zu einem schlüssigen Abendprogramm gibt es ein wiederkehrendes Thema, den Song „Times Square“. Mit diesem beginnt und endet die Platte, und er hält sie in der Mitte zusammen. Wie witzig, den zentralen Song einer solchen Platte „Times Square“ zu nennen, liegt der Times Square doch mitten am Broadway – dem Ort der schrägen Abendprogramme schlechthin. Bejar selbst sagt, er habe überlegt, „was das Widerlichste sei, in das man sich verlieben könne.“ Das sei der Times Square. Die Rockversion in der Mitte der Platte fange das Prollige dieses Ortes ein, die orchestralen Versionen am Anfang das Verlorensein inmitten der Fänge des Konsums und der Menschenmassen.

Die verschiedenen Versionen stehen bereits exemplarisch dafür, was diese Platte ist: Rockbandplatte und Orchesteralbum zugleich. Das könnte überladen wirken, doch Bejar hält den Laden elegant zusammen, und seine Art des Songwriting geht einmal mehr auf. Er gibt lose Strukturen vor, und vertraut seinen Musikern, die er in diesem Raum frei improvisieren lässt. So entsteht Musik, die sich frei und entspannt anfühlt und in der es zugleich so viele kleine Momente zu entdecken gibt.

„Dream Lover“ etwa, die vorab veröffentlichte Single, ist derart schmissig, dass sich nicht mitreißen zu lassen schwerfällt. Hier liegt ein Vibe des frühen Springsteen in der Luft, wenn Bejar wiederholt „Love is on the run“ singt. Der Bass treibt diesen großartigen Song voran. Elegant der Übergang dieser lauten Nummer zum streicherlastigen „Forces From Above“. Die Zeile „The evening progresses like a song into the heavens...“ steht programmatisch für die Poesie der Platte, die einmal mehr frei assoziativ ist. Schön auch, wie eine fast sülzig anfangende Nummer wie „Hell“ am Ende in ein großartiges Bläserfeuerwerk ausbricht. Wenn dann „Times Square“ in der Mitte der Platte auftaucht, muss man kurz schmunzeln, als würde man eine nette neue Bekanntschaft wiedertreffen, die hier auftaucht. Am Ende der Platte ist das Schmunzeln ob der Wiederkehr noch größer, denn nach weiteren Highlights wie „Midnight Meet In The Rain“ ist klar, dass Bejar es wieder geschafft hat.

Zum wiederholten Male hat er eine großartige Platte gemacht und nach dem Meisterwerk nicht enttäuscht. Trotz der Länge ist hier kein Song fehl am Platz. Der Unterschied zum Meisterwerk ist, dass manche Songs hier ohne das Album nicht funktionieren. Den Vorwurf, mitunter zu weichspülig oder gar kitschig zu klingen, muss Bejar sich gefallen lassen. Songs wie „Girl In A Sling“ funktionieren außerhalb des Kontextes dieser Revue nicht wirklich, alleinstehend fällt es weit schwerer, sich auf sie einzulassen. Gemeinsam mit „Kaputt“ hat „Poison Season“ jedoch, dass es eine Platte ist, die mit jedem Hördurchgang wächst. So viel gibt es hier zu entdecken, und so sehr klaren sich Songs, die zunächst etwas überladen wirken, mit der Zeit auf. Doch wie schon bei „Kaputt“ wird es Bejar nicht groß interessieren, wie seine Kunst rezipiert wird. Er hat als Künstler Visionen, und die setzt er um. Davon wird er noch viele in petto haben, und hoffentlich ermöglicht auch „Poison Season“ ihm, an die nächsten heranzugehen. Bis dahin werden wir auch mit der zehnten Destroyer-Platte viel Freude haben.

Daniel Waldhuber

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