Rezension
David Lemaitre
Latitude
Highlights: Spirals // The Incredible Airplane Party // Valediction
Genre: Folkpop
Sounds Like: José González // Kings Of Convenience // Nick Drake
VÖ: 19.04.2013
„Sleepwalk in a daydream“ singt David Lemaitre auf einem der Titel seines Debüt-Albums „Latitude“ und es fällt wirklich leicht, sich Lemaitre als schlafwandelnden Tagträumer vorzustellen. Seine Musik changiert ständig zwischen Fröhlichkeit und Melancholie und stets hat man das Gefühl, Lemaitre und seine beiden Begleitmusiker schwebten ganz knapp über dem Boden.
Lemaitre ist zwar einerseits ein Künstler, der als beispielhaft für die gesellschaftlichen Entwicklungen in Zeiten der Globalisierung gesehen werden kann, andererseits werden gerade durch seine Internationalität und die Unverortbarkeit seiner traumtänzerischen Folkpop-Melodien konkrete Orte eher sekundär, höchstens für den Paratext interessant. Aufgewachsen ist er in La Paz in Bolivien und kam mit 20 Jahren für das Studium der Elektrotechnik nach Dortmund, wie es auch schon sein Vater zuvor gemacht hatte. Allerdings brach er das Studium der Liebe zur Musik wegen bald ab, jobbte als Tontechniker, besuchte Kurse der Popakademie in Mannheim und zog schließlich, wie sollte es auch anders sein, nach Berlin. In Mannheim lernte er Konstantin Gropper kennen, der ihn als Gastmusiker und Support für die Tour seiner Band Get Well Soon engagierte. Dadurch wurde Lemaitre zum einen einem größeren Publikum zugänglich, zum anderen hatte er dadurch aber aber auch die Gelegenheit, zu reisen und neue Orte zu erkunden.
Von dieser Reiselust erzählt auch sein Debüt-Album. „Latitude“ lässt sich gleichsam mit „Breitengrad“, aber auch mit „Handlungsspielraum“ oder gar „Freiheit“ übersetzen, was das ambivalente Verhältnis David Lemaitres zum Raum ausdrückt. Die Weite wird als etwas äußerst Positives empfunden, wenngleich die räumliche Distanz zu geliebten Menschen auch stets Anlass zur Melancholie gibt. Seine Musik, die der Künstler selbst als „orchestralen Schlafzimmerpop“ bezeichnet, ist durchzogen von dieser Stimmung. Dabei sind die einzelnen Songs sehr abwechslungsreich, die Kurve erstreckt sich von der recht poppigen und dynamischen Single „Megalomania“ über den träumerischen, an den Sehnsuchts-Pop der Kings Of Convenience erinnernden Song „Olivia“ bis hin zum melancholischen Nick-Drake-Cover „River Man“.
Seine Experimentierfreudigkeit beweist Lemaitre vor allem auf „Jacques Cousteau“. Das Blubbern und Gurgeln einer fiktiven Unterwasserwelt umfängt die Hörer. Auf dieser aquatischen Expedition mischen sich zahlreiche elektronische Spielereien wie etwa Samples von klimpernden Münzen oder knisternden Cornflake-Tüten unter den ansonsten durch und durch organischen und warmen Sound – hier von Elektro-Folk zu sprechen würde vielleicht einen falschen Eindruck hinterlassen, denn in seiner Gesamtheit ist „Latitude“ im positivsten Sinne „analog“. Gitarre, Gesang und Percussion stehen im Zentrum dieses Werks und werden durch einige experimentelle Einsprengsel ergänzt und abgerundet. Dass das Album mit einer Cover-Version von Nick Drakes „River Man“ endet, veranschaulicht zum einen die musikalischen Wurzeln Lemaitres, zeigt aber auch auf, welch große Freude er an der Schönheit der Melancholie hat.
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