Rezension

Colin Stetson And Sarah Neufeld
Never Were The Way She Was
Highlights: The Sun Roars Into View // Won’t Be A Thing To Become // With The Dark Hug Of Time // The Rest Of Us
Genre: Avantgarde // Experimental
Sounds Like: Colin Stetson // Sarah Neufeld // Godspeed You! Black Emperor
VÖ: 24.04.2015

Fast schon erschiene es langweilig, immer wieder vom nächsten grandiosen Album, das Constellation Records aus Montreal veröffentlicht, zu sprechen. Erscheint es aber nicht, denn es ist wahr. Kontinuierlich liefert das unabhängige, experimentelle Label pro Jahr mindestens ein Album, das am Ende zu den Highlights zählen darf. Und mit „Never Were The Way She Was“ gibt es nun etwas ganz besonderes Feines. Hier arbeiten die beiden – übrigens verheirateten – Künstler Sarah Neufeld und Colin Stetson, die jeweils auch schon Solowerke auf Constellation veröffentlicht haben, erstmals zusammen. Neufeld, Geigerin (unter anderem bei Arcade Fire), veröffentlichte 2013 das wundervolle „Hero Brother“, Stetson hat ein Faible für Saxophone, denen er auf seinen Soloplatten alles (alles!) abverlangt.
Was beide Künstler solo bereits auszeichnet, ist, welch große Welten sie instrumental und aus nur einem einzigen Instrument erzeugen. Ihre Platten sind Alben aus einem Guss, sind ein langer Flow, erzeugen Botschaften ohne Worte. Ausgezeichnet schaffen sie es nun auf ihrem gemeinsamen Werk, die beiden Instrumente zu vereinen, ohne dem jeweils anderen den Raum zu nehmen. Viel mehr greifen Geige und Saxophon perfekt ineinander, füllen die Räume, die sie einander erschaffen, elegant und umtriebig aus. Das zeigt schon der großartige Opener „The Sun Roars Into View“, der fast schon programmatisch für die Musik steht.
Denn es gibt wohl kein besseres Verb, um das Unglaubliche, das Colin Stetson veranstaltet, zu beschreiben, als röhren. Über die Jahre hat er sich einen ganz eigenen Stil angeeignet, Atemtechniken, die ihn nie hörbar atmen lassen müssen und damit scheinbar unendlich viel Luft haben lassen, den Klang des eigenen Körpers und den des Instruments mitnutzen, die eigene Stimme durch das Saxophon röhren lassen. Man mag sich kaum ausmalen, wie es sich anhört, wenn Stetson sich die Nase putzt. Dieses organische Spiel erzeugt mitunter mehr einen Beat, als dass es nach Blasinstrumentklängen klingt. Dazu kreiert Sarah Neufeld an der Geige Welten.
„Never Were The Way She Was“ wurde ohne Overdubs, Loops, Sampling oder Schnitte aufgenommen, so wird die rohe Dynamik der Musik perfekt auf Platte gebannt. Das Album flowt genau wie die Solowerke der beiden, schafft – wie fast alle Constellation-Werke – eine eigene Welt, eigene Gesetze, die für die Zeit des Hörens gelten. Es erzählt, ohne Worte zu benutzen, eine Geschichte, die jeder sich vorstellen kann. Ihren Höhepunkt hat sie mit „The Rest Of Us“, einem epischen, sich unter die Haut vibrierenden Stück, dem man kaum glauben mag, dass es nur aus Saxophon und Geige besteht. Brillanter wurden die beiden Instrumente wohl nie zu einem großen Gesamtwerk vereint, das viel stärker ist als seine einzelnen Teile und neue Horizonte zu eröffnen vermag.
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