Rezension
Chris Cornell
Carry On
Highlights: Billie Jean // Your Soul Today // You Know My Name
Genre: Alternative Rock
Sounds Like: Audioslave // Life of Agony // Revolverheld
VÖ: 29.06.2007
Man mag mich für meine sinnlosen Hirnspielereien schelten, aber mir ist folgendes aufgefallen: Die musikalische Karriere des Chris Cornell wäre ungeheuer glorreich und inspirierend gewesen, wenn sie chronologisch genau andersherum gelaufen wäre. Man müsste sich das in etwa so vorstellen: Chris Cornell, ein zielstrebiger junger Sänger aus Seattle macht sich auf, die Musikwelt zu erobern. Nach dem Release eines ersten, eher mäßigen Solo-Albums bietet sich ihm eine riesige Chance: Tom Morello, Tim Commerford und Brad Wilk, Mitglieder der renommierten "Rage Against The Machine" bieten ihm den Gesangspart in ihrer neuen Band "Audioslave" an; diese bringt mit Cornell drei stetig besser werdende Alben heraus (besonders das letzte Album "dto" wird von Fans und Fachpresse geliebt), bevor sie sich schließlich auflöst. Nach zwischenzeitlichem Release eines zweiten Solo-Albums entwickelt sich Cornells neu gegründete Band "Soundgarden" schließlich zu einer der größsten Alternative-Rock-Bands ihrer Zeit.
Schöne Vorstellung, oder? Die Fakten sehen nur leider etwas anders aus, denn, seien wir mal ehrlich: Audioslave waren zwar gut, reichten jedoch nie wirklich an RATM oder Soundgarden heran, die Qualität ihrer Alben ging zunehmend auch den Bach runter und das jetzt aktuelle Werk "Carry On" setzt diesen Trend fort. Dass Cornell jetzt nicht mehr Teil einer Band aus gleichwertigen Mitgliedern ist, auf die er den instrumentalen Teil des Songwritings abwälzen kann, zieht den sprichwörtlichen Karren nämlich nicht gerade aus dem ebenso sprichwörtlichen Dreck, sondern schiebt ihn eher noch tiefer in die Matsche. Man mag Cornell zwar aufgrund seines wirklich fantastischen Organs verzeihen, dass er hauptsächlich Songstrukturen bevorzugt, die seinen Gesangspart hinreichend in Szene setzen. Die Schattenseite eines solchen Leitfadens im Songwriting lässt sich jedoch mit vielerlei Metaphern verdeutlichen: Ein Haus mit dem stabilsten Fundament stürzt ein, wenn die Mauern wacklig sind. Eine Fußballmannschaft mit einer löcherigen Abwehr und einem lauffaulen Mittelfeld verliert auch dann, wenn sie brasilianische Nationalspieler im Sturm hat. Ein Burger aus Kobe-Rindfleisch schmeckt nicht, wenn das Brötchen trocken und die Soße verdorben ist. Kurz: Auch eine markante, ausdrucksvolle Stimme wie die eines Chris Cornell macht eine CD nicht zu einem Meisterwerk, wenn man bei beinahe jedem Riff, jeder Melodie, jeder Gitarrenspur bestenfalls das Gefühl hat, das schon einmal gehört zu haben, schlimmstenfalls den spontanen Gedanken, das schon einmal gehört zu haben UND es eigentlich nicht noch einmal hören zu wollen. Assoziationen mit Life Of Agony wie im Opener "No Such Thing" sind ein geringes Übel, auch der nachvollziehbare Griff in die Soundgarden-Gitarrengeschrabbel-Grabbelkiste wie im darauffolgenden "Poison Eye" ist zumindest nicht weiter tragisch. Schlimm wird es nur dann, wenn man sich hin und wieder an Geißeln der Musikwelt wie Bon Jovi, Nickelback, oder deren deutschsprachige Satansbrut Revolverheld erinnert fühlt, was sich besonders auf den ruhigeren, balladesken Tracks des Albums manchmal kaum vermeiden lässt.
Erfreulich ist nichtsdestotrotz, dass durchaus Tracks aus dem Schema "Hauptsache, der Chris tut fein singen" ausbrechen. Zum Einen sei hier die bereits aus dem Soundtrack zu "Casino Royale" bekannte Single "You Know My Name" genannt, die mit spärlich, aber intelligent eingesetzten Streichern und Bläsern aufwartet und die aktuelle Messlatte für jeden Radio-Smashhit, zu dem Superhelden Autos durch diverse andere Fortbewegungsmittel jagen, ganz nach oben legt. Zum Anderen das oft in aktuellen Interviews mit Cornell thematisierte "Billie Jean", das weder mit funky Disco wie im Original, noch Punkgeschrammel à la Bates aufwartet. Ganz im Gegenteil wird Cornells Stimme hier zunächst nur von akustischen Klavier- und Gitarrenklängen begleitet, die schließlich in einem fulminanten Gitarrensolo explodieren und die düstere Thematik des Jackson-Hits damit beeindruckend zur Geltung bringen.
Was bleibt also zu einem Album zu sagen, dessen beste Tracks für James Bond beziehungsweise von Michael Jackson geschrieben wurden, abgesehen von "Besser als umgekehrt"? Dass Cornell besser von nun an keine Alben mehr herausbringen sollte, um den oben beschriebenen Abwärtstrend zu stoppen, sicherlich nicht. Schließlich sind ihm trotz seiner mittlerweile 42 Jahre immer noch einige zukünftige Schmankerl zuzutrauen. Dass das Publikum auf Cornells kommender Festivaltour wohl trotzdem am Meisten auf alte Hits wie "Cochise" oder "Black Hole Sun" abgehen wird, steht aber außer Frage, denn Hirnspielereien hin oder her: Seine besten Tage liegen definitiv hinter ihm.
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