Rezension

Brett Anderson

Wilderness


Highlights: The Empress // Back To You // P. Marius
Genre: Folkpop
Sounds Like: José González // El Perro Del Mar // Damien Rice // Bright Eyes // Joanna Newsom // James Blunt

VÖ: 17.10.2008

Der Wahnwitz, mit dem der britische NME Musik behandelt, ist bekannt. Der Vernichtungsfeldzug, der da in Form einer Rezension auf Brett Andersons zweites Solo-Album zielt, lässt endgültig am Verstand der Redaktion zweifeln – ohne abstreiten zu wollen, Geschmäcker seien verschieden. Verwundern tut dann nur, wenn der Guardian „Wilderness“ ebenfalls als „volltrunken sentimentale Plackerei“ bezeichnet. Die Kollegen vom Independent würden Anderson dagegen am Liebsten ein Denkmal errichten. Anderson selbst gibt sich sehr zufrieden mit seiner gegenwärtigen Idee seines Schaffens.

Er hat jeden Grund dazu. „Wilderness“ bezaubert. Vom ersten Ton an. Anderson zählt ein, Amy Langleys Cello erklingt und der Hörer ist verloren. Akustische Klangreinheit stellt Hürden auf für den Hörer, dies ist weder sexuell und drogengeladener Brit Pop noch ebensolcher Electroclashpunk. Cello, Piano und Andersons glasklarer Gesang formen ein reduziertes, romantisches, ein einfaches, rohes, seelenvolles Album. Vom hedonistisches Idol einer vorstädtischen, einer proletarischen Pop-Bewegung zu Beginn der 90er – als das er sich nicht immer wohl fühlte – hat sich Anderson zu einem mittelalten und gesetzt mittelständigen musikalischen Poeten entwickelt, der mit unglaublicher Klarheit und Talent ein Album für den Herbst geschrieben hat, ein Werk, das die Liebe – mit all ihren Brüchen, Kanten, Schwielen – zum Thema hat, sie sich mit ruhiger Hand in melancholischen, aber nicht trübsinnigen Arrangements entfalten lässt. Inwiefern er kleine gefühlsbetonte Meisterwerke schafft oder vielleicht gelegentlich doch zu tief in die triefenden Abgründe des Kitsches absinkt? In herbstlicher, in nordischer, in grauer Stimmung seiend, überzeugen die neun Songs auf „Wilderness“ vollkommen, in sommerlich aufgewühlter Balearen-Atmosphäre dagegen klingen sie ebenfalls perfekt, denn der Herbst wird kommen. Allein die einfache Klarheit, in der das abschließende „P. Marius“ zwischen Piano, Stimme und Cello, zwischen aufbrechend und zusammensinkend komponiert ist, nimmt gefangen, begeistert und lässt bei gegenteiliger Kritik nur entgeistert auflachen.

Cello und Piano an sich gehen eine magische Verbindung ein, kommt wie hier ein Songwritertalent wie Andersons hinzu, eine Stimme wie seine, entsteht eine Perle von Album zwischen Folk und Pop, gefüllt mit weiteren kleinen Perlen. Wenige Alben packen vom ersten Ton des ersten Hörens so umfassend, so absolut wie „Wilderness“. Vom ersten Einzählen in „A Different Place“ bis zum Zufallen der Studiotür in „P. Marius“ vibrieren hier die Gefühle, erfassen einen die Töne.

Oliver Bothe

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