Rezension

Boards Of Canada

Tomorrow's Harvest


Highlights: Reach For The Dead // Transmisiones Ferox // New Seeds
Genre: Ambient Techno // Electronica // Psychedelic
Sounds Like: Seefeel // Autechre // Isolée

VÖ: 07.06.2013

Exakt am 20.04.2013 betritt der Kopfhörer tragende Warp-Jünger den überfüllten Plattenladen in New York. Die beiden heimischen SL-1210er benötigen schließlich neues Futter und so ein Record Store Day bietet die ideale Gelegenheit dazu. Verdächtig und verwundert zugleich begutachtet er diese 12“-Platte im einfachen Papp-Sleeve. auf der zu seiner Überraschung in kleinen Lettern der heroische Name Boards Of Canada prangert, darunter mysteriöserweise ein nichtssagender Titel oder Code: ------ / ------ / ------ / XXXXXX / ------ / ------ .

Was soll das sein? Die Platteoffenbart in etwa 20 Sekunden Musik, es ist ein vetrauter, warmer, elektronischer Klang, während eine verzerrte Stimme im Hintergrund die Zahlen neun, drei, sechs, fünf, fün sieben rezitiert. „Kenn ich nicht, könnte aber tatsächlich von BoC sein“, denkt er sich in der Gewissheit, bis dato jegliches Material der beiden schottischen Brüder gehört zu haben. Der junge Mann kombiniert geschickt: „Sechs Zahlen, die wahrscheinlich für die sechs X des Titels stehen sollen“. Nach beinahe kriminalistischer Aufklärung und fünf weiteren Codes, die über verschiedene Medien einen Empfänger erreichen, steht die Gewissheit, dass ein neues Boards-Of-Canada-Album mit dem Titel „Tomorrow's Harvest“ tatsächlich erscheinen wird. Nach all den Jahren und beinahe begrabener Hoffnung. Nachdem man den Namen Boards Of Canada beinahe schon nostalgisch mit deren konsequent nostalgischen Platten assoziierte.

Kaum zu glauben, dass die Aufnahmen für dieses nun vorliegende Werk unmittelbar nach der Veröffentlichung von Campfire Headphase (2005) begannen und nach all den Jahren an dieses nahtlos anknüpfen. In der Ländlichkeit der Highlands, abseits von schnelllebigen Einflüssen und Launen der Mode, entstanden zeitlose Klänge und ein minimalistisches Pendant zum achtjährigen Vorgänger. Die Geschichte scheint sich dabei dahingehend zu wiederholen, dass „Tomorrow's Harvest“ unter Kritikern gemischte Meinungen erzeugt. Ein weiteres Mal schöpft das Album seinen Glanz nicht aus einer innovativen Kraft, sondern die Qualität besteht in der Perfektion eines wohlvertrauten, warmen Klanges. Dass die Aufnahmen bei dem Versuch, Stücke und Ideen auf den Punkt zu bringen, nachdem die Brüder Marcus Eoin und Mike Sandison mit den einzelnen Song-Fragmenten Ping-Pong spielten, offensichtlich zwischenzeitlich ins Stocken geraten sind, ist in den wenigsten Momenten hörbar. Zeit für den nötigen Feinschliff gab es schließlich genug. Und wahrscheinlich ist es auch besser so, dass kein krampfhafter Versuch unternommen wurde, sich selbst neu zu erfinden und einen großen neuen Wurf zu landen. Dazu schweben die Boards Of Canada ohnehin viel zu erhaben über dem Genre Ambient und elektronischer Musik im Allgemeinen.

Unbegreiflich wie ungreifbar zieht dieses Album wie Wolken an seinem stummen Hörer beziehungsweise Betrachter vorbei. Tief im ätherischen Klang versunken, blickt man auf das Album wie auf ein Zeugnis einer Zeit, die es noch gar nicht gegeben hat. Die Zeitlosigkeit schaffen Boards Of Canada durch Stimulierung von Zukunftsentwürfen und Zuständen im retrospektiven und nostalgischen Kontext und Charme. Im Hintergrund knistert es wie die Spule eines alten Film-Streifens, Bilder ziehen an einem vorüber, als schaue man einen dieser uralten und unsäglich langsamen Filme, die einem früher den faszinierenden Biologie-Unterricht anschaulich und schmackhaft machen sollten und einen doch nach einer Weile auch etwas ermüden ließen.

Nüchtern und mystisch zugleich findet sich hier eine Black-Box aus alten, analogen Effekt-Geräten, minimalem Einsatz an Drum-Computern sowie Samplern, die von Zeit zu Zeit gar einem live eingespielten Schlagzeug weichen, die, angestaubt über Jahrhunderte unentdeckt, vom Hörer voller Staunen (neu) entdeckt werden will. Genaues Hinhören ist angebracht und doch durchdringt einen nach einer Weile etwas Meditatives und Tiefenentspanntes.

Man gewinnt dabei womöglich die Liebe fürs Detail und „Tomorrow's Harvest“ vermag das mindestens ebenso gut wie sein Vorgänger. Manch einer erliegt wiederum erneut der Art und Weise, wie Boards Of Canada des Hörers Wahrnehmung ficken und manch einer wird womöglich enttäuscht und dogmatisch der Schönheit von „Music Has The Right To Children“ huldigen. Unbeschritten ist hingegen die Einmaligkeit sowie der Wiedererkennungswert der Musik der beiden Brüder Eoin und Sandison, deren Nachhall von Baths bis hin zu Panda Bear reicht.

Achim Schlachter

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Video zu "Reach For The Dead"

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